Voraussichtlich zum Jahresende werden die derzeitigen Umbauarbeiten der kirchlichen Sozialstation St. Raphael beendet sein. Beinahe von der ersten Stunde des Bestehens der Einrichtung an war Hubert dabei.


Über mehr als eineinhalb Jahrzehnte hinweg holte er deren Gäste der Tagespflege am frühen Morgen von zu Hause ab und brachte sie am Abend wieder nach Hause. Auch wenn er diesen ehrenamtlichen Fahrdienst vor einem knappen Jahr aufgegeben hat: Innerlich verbunden ist er der Zeller Sozialstation noch immer, bringt jede Woche frische Blumen.
»Das Ehrenamt in der Zeller Sozialstation hat mein Leben unheimlich bereichert«, resümiert Hubert Walter, »ich habe Talente in mir entdecken dürfen, die ich vorher so nicht an mir festgestellt hatte: dass ich mit Menschen umgehen und dass ich auch eine fröhliche Art haben kann«.
Sechszehneinhalb Jahre lang war er als Fahrer für die Sozialstation aktiv, hegte und pflegte überdies deren Garten. Zuverlässig, hingebungsvoll und mit warmem Humor. »Ich bin glücklich über das, was ich gemacht habe.« Mit sanfter Kraft in der Stimme und augenscheinlich im Reinen mit sich selbst stellt Hubert Walter das fest.
Mit Lobhudelei oder gar Selbstbeweihräucherung jedoch hat der stolze 80 Lenze Zählende nichts am Hut. Jedenfalls nicht an dem, den er am liebsten trägt, in Form einer »Datschkapp« – einer Baskenmütze.
Gut behütet auch jene Senioren, die der Zeller – hier geboren und hier zeitlebens wohnhaft – für die kirchliche Sozialstation St. Raphael noch bis zum vergangenen Oktober gefahren hat.
Dieses Ehrenamt aufgenommen hatte er mit Beginn der Rente, im Alter von 63 Jahren. Akquiriert sozusagen von Dieter Petri, einstmals Vorsitzender der Sozialstation und einer derjenigen, die diese Einrichtung anno 1978 gründeten.
Den Fahrdienst leistete Hubert Walter für die von der Sozialstation angebotene Tagespflege. Diese steht pflegebedürftigen Senioren zur Verfügung und ist außerdem ein Treffpunkt für ältere Menschen, die nicht alleine sein können oder wollen – was gleichzeitig eine Entlastung für die pflegenden Angehörigen bedeutet.
Heutzutage sind sieben ehrenamtliche Fahrer beschäftigt, »aber als ich anfing, waren wir zu zweit«, erinnert sich der langjährige Keramikformer und spätere Kachelofenbauer, »da waren der Alwin Müller und ich richtig gefordert.« Und zwar jeden Werktag von morgens 7.30 Uhr bis nach gegen zehn Uhr und etwa zwei weitere Stunden von 16 Uhr an.
Hohes Verantwortungsgefühl und Umsicht
Ein solcher Fahrdienst bedeutet nicht nur, die Senioren wohlbehalten in den rollstuhlgerechten Bus und aus diesem wieder hinaus zu befördern, sondern sie auch durch teils enge Treppenhäuser heil in die heimische Wohnung zurückzubringen. Schulungen in Form Erster-Hilfe-Kurse sowie individuelles Notfalltraining gehören dazu. Auch der Umgang mit an Demenz Erkrankten ist kein einfacher und will gelernt sein.
»In meiner Zeit als Fahrer ist aber Gott sei Dank nie etwas passiert«, freut sich Hubert Walter, was nicht zuletzt seiner Umsicht zu verdanken ist. »Das Wichtigste war für mich immer das sichere Fahren«, betont der Familien- und Großvater, »wenn man Leute im Bus hat, ist das erste Pflicht.«
Vom abgelegenen Oberharmersbacher Zuwald bis ins hinterste Prinzbachtal ist er für die Sozialstation in die entlegensten Winkel der umliegenden Täler gefahren. Auch bei Eis und Schnee, der in früheren Zeiten bis zu einem dreiviertel Meter hoch lag, »so dass man zu manchen Höfen gar nicht hin kam.«
Viele Menschen und Familien hat der Kontaktfreudige in dieser Zeit kennengelernt und »viele tolle Begegnungen gehabt, das war sehr bereichernd für mein Leben.« Und keinen Tag habe er erlebt, an dem er nicht gern für die Sozialstation unterwegs gewesen sei, wie der selbst noch immer rundherum Rüstige mehrfach betont, »es war mir immer Lust, nicht Last.«
Umgekehrt hebt Marijke Heitzmann als langjährige Leiterin der Tagespflege hervor: »Die Leute sind immer gern mit ihm gefahren.« Hubert Walter schmunzelt spitzbübisch: »Ein ehrliches Lob zu kriegen ist einfach schön.« Er wiederum habe großen Respekt vor der Arbeit der Frauen in der Tagespflege.
Fensterplatz im Himmel
Viel Lob hat er stets auch von deren Gästen und ihren Familien erhalten, »oftmals auf köstliche Arten«. Wie im Falle einer Seniorin, die zum sparsamen Leben gezwungen war: »Die hat mir trotzdem für jeden Abend, an dem ich sie heimgebracht hab, zwei Ripple Schokolade gerichtet.« Und jedes Mal sagte sie zu ihm: »Hubert, wenn du mal in den Himmel kommst: du kriegst ’nen Fensterplatz«.
Wieder lacht der ehemalige Betriebsrat sein leises und doch fröhliches Lachen, »Das ist so schön, dass man so viel zurück kriegt in so einem Ehrenamt.« Ein Umstand, der ihn selbstbewusster und gelöster hat werden lassen: »Früher habe ich nicht so viel gelacht.«
Entsprechend wichtig ist ihm, dass »sein Bus fast immer ein fröhlicher« war. Wofür er sich einiges hatte einfallen lassen. Sei es, dass er an markanten Stellen, schönen Aussichtspunkten, alten Bauerngärten oder bei besonderen Lichtverhältnissen anhielt, damit seine Fahrgäste den Anblick genießen konnten.
Oder sei es, dass gemeinsam gesungen oder auf seine Aufforderung hin auch spontan einfach mal während des Fahrens ein gemeinsames Morgengebet rezitiert wurde. »Bei mir im Bus war es nie langweilig«, schmunzelt der dem Menschen Zugewandte.
Doch bei allem Positiven, was der zudem an Geschichtlichem und an Büchern Interessierte zu berichten hat, wird er immer wieder auch nachdenklich. Denn die unweigerlich auftretenden Sterbefälle gingen dem Sensiblen ebenso nahe wie manches von dem, was die Senioren ihm aus ihrem Leben erzählten.
Lebensberichte
Besonders beschäftigte ihn die Art und Weise, wie man noch bis vor 60 oder 70 Jahren mit dem weiblichen Geschlecht umging. So berichtet er davon, dass Frauen, die frisch entbunden hatten, als unrein galten, und daher auf die allerletzte Kirchenbank verbannt wurden. Erst, wenn sie nach 40 Tagen ausgesegnet worden waren, durften sie wieder weiter vorne in der Kirche Platz nehmen. »Das war überall so, die Alten wissen das«, erzählt Hubert Walter. Er selbst habe das aber erst im Zuge seines Ehrenamtes erfahren.
Tränen in die Augen treibt ihm auch der Umstand, dass besonders Frauen von ihren Eltern nach der achten Klasse von der Schule genommen wurden, keine Ausbildung erhielten. »Eine Oberharmersbacherin hat mir erzählt, wie sehr sie damals weinte, weil sie so eine gute Schülerin gewesen war. Und wie gerne sie nochmal jung wäre, um das Abitur machen und einen Beruf erlernen zu dürfen.«
Umso fröhlicher ging es nach dem morgendlichen Fahrdienst in der Regel zu, wenn Hubert Walter sich bei Kaffee und Kuchen und dem einen oder anderen Witz zu den Gästen in der Tagespflege gesellte. »Das war immer sehr nett«, strahlt er, für den in punkto Sozialstation eines noch lange nicht zur Vergangenheit gehört: Wöchentlich zwei dicke Sträuße frischer Blumen aus dem eigenen Garten bringt er nach wie vor vorbei, solange die Vegetation dies zulässt.