Wir leben in unruhigen Zeiten: Auf Finanzkrise, Eurostaaten-Krise, Terror und Flüchtlingskrise folgt nun die Corona-Krise. Nach verschiedenen anderen Epidemien und Pandemien (Grippe-Virus 1957 und 1968 in Deutschland mit zehntausend Toten, Vogelgrippe-Virus 2006, Schweinegrippe-Virus 2009 und Ebola-Virus 2014-2016) erreichte uns aufgrund der Globalisierung nun die aktuelle SARS-CoV-2 und Covid-19-Pandemie.
Es dürfte nicht die letzte Pandemie gewesen sein. Bereits jetzt warnen etwa wieder chinesische Forscher vor einer neuartigen Schweinegrippe mit Pandemie-Potential. Eine unabhängige Untersuchung der von Bill Gates »vorausgeahnten« Pandemie und ihrer Ursprünge wäre sicher notwendig und steht noch aus. Kurz vor Ausbruch der Pandemie fand im Oktober 2019 in New York City unter Beteiligung der Stiftung von Bill Gates, dem wichtigsten privaten Geldgeber der Weltgesundheitsorganisation (WHO), noch eine »Pandemische Übung Event 201« statt, bei der der Ausbruch einer Corona-Pandemie simuliert wurde.
Die Politik schien trotz einer bereits 2012 erstellten Risikostudie über Ablauf und Folgen einer SARS-Pandemie zunächst erschreckend unvorbereitet zu sein und hat dann sehr weitreichende Maßnahmen ergriffen. Es ist zu erzwungenen Schließungen von Gastronomiebetrieben und Geschäften sowie Ausgangs- und Kontaktsperren gekommen, wie sie bisher nur aus totalitären Regimen in Unruhezeiten bekannt waren.
Einmaliger Vorgang in der Geschichte Deutschlands
Die Grundrechte für die gesamte Bevölkerung in Deutschland sind dadurch zeitweise weitgehend suspendiert worden oder konnten zumindest nur noch marginal ausgeübt werden. Es stellt einen einmaligen Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar, dass so viele Grundrechte gleichzeitig von Einschränkungen betroffen sind und Einschränkungen nicht nur für bestimmte Gruppen, sondern für die gesamte Bevölkerung angeordnet wurden.
Gestützt auf das Infektionsschutzgesetz als Rechtsgrundlage wurden u.a. für die Demokratie so wichtige und bedeutsame Grundrechte wie Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit und weitere wichtige Grundrechte wie Religions- und Berufsfreiheit, massiv eingeschränkt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Grundrechtseingriffe.
Zwar nimmt das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Leben – wie in der Politik immer wieder betont und hervorgehoben wird – durchaus einen hohen Stellenwert ein und es gibt eine entsprechende Schutzpflicht des Staates. Allerdings ist es keineswegs
so, dass deshalb alle anderen Grundrechte auf einmal hintenanstehen müssten oder sogar aufgehoben wären!
Die Garantie der Menschenwürde ist »unantastbar«
Die Garantie der Menschenwürde in Art. 1 GG ist »unantastbar« und unterliegt keinen Beschränkungsmöglichkeiten. Die Grundrechte und auch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit können jedoch auch durch andere Grundrechte und wichtige Verfassungsgüter beschränkt werden.
Eine Grundrechtskollision ist dabei durch eine Abwägung aufzulösen, wobei die betroffenen Grundrechte nach Möglichkeit zu einem schonenden Ausgleich gebracht werden müssen. Insbesondere ist auch immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Das bedeutet, dass die angeordneten grundrechtseinschränkenden Maßnahmen zunächst einmal grundsätzlich geeignet sein müssen, das von der Politik vorgegebene Ziel zu erreichen, die Gefahr der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verringern bzw. einer möglicherweise drohender Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken.
Dabei wird dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt. Maßnahmen werden bereits dann als geeignet angesehen, wenn mit ihrer Hilfe der gewünschte Erfolg auch nur gefördert werden kann. Darüber hinaus müssen die Maßnahmen allerdings auch notwendig und erforderlich sein. Es darf also kein anderes milderes Mittel geben, das zur Zielerreichung ebenso geeignet ist.
Nachteile und Vorteile müssen im Verhältnis stehen
Schließlich müssen die durch die Grundrechtseinschränkungen eintretenden Nachteile noch in einem angemessenen Verhältnis zu den bezweckten Vorteilen stehen und zumutbar sein. An diesen Maßstäben gemessen dürften zumindest manche Maßnahmen zur Virus-Bekämpfung völlig überzogen und unverhältnismäßig sein.
Die gilt beispielsweise für die landesweiten Ausgangsverbote, die im Frühjahr 2020 in sechs der 16 Bundesländern wie in Bayern oder Sachsen das Verlassen der eigenen Wohnung im jeweiligen Landesgebiet generell verboten haben und nur beim Vorliegen bestimmter Gründe ausnahmsweise gestattet haben. Auf die Gerichte könnte eine Klagewelle zukommen. Teilweise waren Bürger bereits mit ihren Klagen bei den Gerichten erfolgreich. So hatte beispielsweise ein Eilrechtsschutzantrag gegen ein Versammlungsverbot in der Coronakrise durch die BWCorona-VO vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg (Beschluss vom 17.04.2020 – 1 BvQ 37/20).
Die Rechtsprechung hat in einer frühen Phase der Pandemie Eilrechtsschutzanträge und Klagen noch überwiegend abgewiesen. Dies ist damit begründet worden, dass es nach der Bewertung des Robert Koch-Instituts anfangs darum gegangen sei, die Ausbreitung einer hoch infektiösen Viruserkrankung durch eine möglichst weitgehende Verhinderung von Kontakten zu verlangsamen, um ein Kollabieren des staatlichen Gesundheitssystems mit zahlreichen Todesfällen zu vermeiden.
Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfassungsbeschwerden mit jeweils unterschiedlicher Zielsetzung gegen die Corona-Maßnahmen abgewiesen, wobei mit der einen Verfassungsbeschwerde eines älteren Mannes eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen und mit der anderen Verfassungsbeschwerde eines jüngeren Mannes eine Aufhebung bzw. Abschwächung der Maßnahmen erreicht werden sollte.
Mittlerweile zeichnet sich in der Rechtsprechung die Linie ab, dass freiheitseinschränkende Maßnahmen zumindest befristet werden müssen und in kurzen Abständen immer wieder überprüft werden müssen.
Die Grundrechte sind Abwehrrechte der Bürger gegenüber staatlicher Gewalt und dienen dazu, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern.
»Corona-Lockerungen« sind keine Gnadenerweise
Die sogenannten »Corona-Lockerungen« sind keine Gnadenerweise für diszipliniertes Verhalten der Bürger. Maßnahmen, die zu unverhältnismäßigen Grundrechtseinschränkungen führen, müssen aufgehoben werden. Nicht die Aufhebung von Einschränkungen, sondern die Einschränkung der Grundrechte ist rechtfertigungsbedürftig.
Je länger Einschränkungen andauern, umso genauer ist zu überprüfen, ob Maßnahmen (noch) verhältnismäßig und angemessen sind. Die Grundrechte befinden sich in einem Stresstest. Viele scheinen im Angst-Modus aufgrund entsprechender medialer Dauerberichterstattung bereit zu sein, ihre im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte aufzugeben. Dem ist entgegenzuwirken.
Michael Hug,
Rechtsanwalt, Zell a. H.