Zwei Jahre lang war die Stadt Zell eine von acht deutschen Kleinstädten, die am Forschungsprojekt »Potenziale von Kleinstädten in peripheren Lagen« teilgenommen haben. Geleitet wurde das Projekt von Professor Dr. Peter Dehne von der Hochschule Neubrandenburg. Er stellte die Ergebnisse im Rahmen der Einwohnerversammlung den Zeller Bürgern vor und zog am Ende das erfreuliche Fazit: »Zell steht gut da!«
Das Ziel des Forschungsprojekts sei es gewesen, sich vom Alltagsgeschäft zu lösen und sich Gedanken über die Zukunft zu machen, betonte Professor Dehne. In den vergangenen zwei Jahren sei es darum gegangen, wie man die heutigen Stärken nutzen könne. Entstanden sei ein lockeres, geradezu spielerisches Bild, das mögliche Ziele aufzeige. Mit dem Bild vom Städtlekaufhaus, das Teil der im Projekt entworfenen Zukunftsgeschichte von »Zell 2030« geworden ist, untermauerte er diese grundsätzliche Aussage.
30 Prozent leben in Kleinstädten
Bundesweit sei es den teilnehmenden acht Städten gelungen, den Blick von Politik und Wissenschaft auf die Kleinstädte zu lenken und den »Missing Link« herzustellen. Der Fokus der Politik liege bisher auf dem ländlichen Raum und den Großstädten, nicht aber auf den insgesamt rund 2.000 Kleinstädten, in denen 30 Prozent der deutschen Bevölkerung leben.
Mit dem Blick auf statistische Zahlen belegte Professor Dehne die Aussage, dass die »Krise der Kleinstadt« zumindest gestoppt sei. Vor allem in den neuen Bundesländern im Osten sei diese dramatisch gewesen, in Baden-Württemberg und auch in Zell a. H. weniger spürbar. Die Einwohnerzahlen würden wieder steigen. Kleinstädte seien eine Alternative zu den großen Städten.
Das Wichtigste für die Einwohner sei das Lebensgefühl: Vertrautheit, Heimat, Lebenswerk, Wohlfühlen, Miteinander, Gemeinsames, Generationen, Vereine, Landschaft, Erholung. Deshalb müsse es auch in Zukunft gelingen, die Lebensqualität zu stärken und das »Gegenmodell Kleinstadt« zu schaffen.
Sieben Wunschbilder
Als Fahrplan in die Zukunft, so Professor Dehne, hätten sich aus den Arbeiten der Szenariogruppen sieben große Themenfelder herauskristallisiert, wenn es um die Zukunft von Kleinstädten insgesamt gehe.
Kleinstädte bieten mehr Lebensqualität pro Euro. Im Vergleich zu Großstädten könne man hier günstiger und besser wohnen. Neue Wohnformen müssen entwickelt und Schulen gestärkt werden. Regionales Einkaufen und persönliche Beratung sind weitere Mosaiksteine. Orte der Begegnung fördern ein lebendiges und kreatives Stadtleben.
Schnelle Anbindung und neue Mobilität erleichtern das Leben in der Kleinstadt. Der Bahnhof gewinne Bedeutung als Mobilitätsdrehscheibe. Einfache Lösungen und der Radverkehr müssen gestärkt werden.
Orte der Gemeinschaft und Kommunikation schaffen Verbindungen zwischen den Generationen. Durch Kooperationen wird die Vereinslandschaft gestärkt und neue Formen des Ehrenamts können gefunden werden. Für die Jugend müsse es Orte geben, die sie selbst gestalten können und wo sie Freiräume haben.
Die Digitalisierung könne Teil der Lösung sein. »Digitalisierung verändert die Gesellschaft«, stellt Professor Dehne fest, es sei allerdings noch nicht klar, wohin der Weg gehe. Es gebe Hoffnungen und Unsicherheiten bei der Anwendung. Ortsunabhängiges Arbeiten, Mobilitäts-Apps oder Online-Marktplätze könnten Teil der Lösung in allen Handlungsfeldern sein. Denkbar wären aber auch Gegenmodelle als Chance wie Handwerk, persönliche Beratung, Entschleunigung oder Direktvermarktung.
Der Anschluss an die Wissenschaftsgesellschaft ist ein weiterer Baustein der sieben großen Themenfelder. In Kleinstädten könne dies mit Dienstleistungen, der Schaffung von Gründerzentren oder lokalen Bildungslandschaften, starken Schulen und Schul-Campussen gelingen. Kreative Köpfe und Unternehmen müssten als Partner für gute Lebensqualität gewonnen werden.
Das Querschnittsthema Tourismus dürfe nicht überschätzt werden, warnte Professor Dehne in seinem Fazit. Der Tourismus könne auch einen Beitrag für die Lebensqualität der Einwohnern leisten. Eine große Bedeutung komme beim Tourismus der regionalen Zusammenarbeit zu.
»Kooperationen nach innen und außen weisen häufig den Weg zu neuen Lösungen«, war die siebte Kernaussage. Die Zusammenarbeit in der Kleinstadt sei eine häufig gelebte Kultur, »z. B. bei Vereinen. Diese müsse erhalten, gestärkt und ausgebaut werden. Neue Allianzen zwischen Unternehmern, im Einzelhandel, Gesundheit oder Pflege müssten geschmiedet werden. Dies gelte auch für die interkommunale Zusammenarbeit.
Menschen machen Kleinstadt
Die Forschungsarbeit habe gezeigt, dass vorhandene Potentiale entfaltet werden müssten, zog Professor Dehne ein Fazit. Klar erkennbar sei, dass es eine eigene, kleinstädtische Lebensqualität gebe. Für die Zukunft würden sich die Teilnehmer der Szenariowerkstätten mehr Vielfalt und Lebendigkeit in ihrer Kleinstadt wünschen. Ob dies gelingen könne, sei abhängig von kreativen Menschen. Professor Dehne: »Menschen machen Kleinstadt und dafür brauchen sie Freiraum, Möglichkeiten und Beteiligung.«
Den acht beteiligten Städten sei es gelungen, den Blick von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft auf die Potenziale von Kleinstädten zu lenken. Die Bundesregierung werde nun eine Bundesinitiative Kleinstadt ins Leben rufen, die Förderpolitik für Kleinstädte überarbeiten und eine Kleinstadtakademie einrichten. Für die Testphase seien 700.000 Euro zur Verfügung gestellt worden. Auch die Kleinstadtforschung werde gestärkt.
Den Spannungsbogen halten
Für Zell a. H. gelte es nun, den Spanungsbogen zu halten und im Prozess »Zell 2030« weiterzumachen, forderte Professor Dehne. Prioritäten müssten gesetzt und Ressourcen gesichert werden. Die Beteiligung müsse sich verstetigen und es müsste Begleitung eingefordert werden. »Zell steht gut da«, bewertet er den Status quo. Aus dieser guten Position heraus müsse es gelingen, die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Günstig seien auch die Rahmenbedingungen mit einer guten Konjunktur, niedriger Arbeitslosigkeit und einer Ruhephase in der demografischen Entwicklung. »Es wird nicht immer so bleiben«, warnte Professor Dehne. Umso wichtiger sei es, die aktuell gute Position richtig zu nutzen.