»Nach kurzer Zeit sah man bereits Besserung«, berichtet die Zeller Heilpraktikerin Marcella Kuderer von ihren tiefgreifenden Erfahrungen in einer großen schulmedizinischen KIinik in Baise, in der unterstützend mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) behandelt wird.
Wenn Marcella Kuderer – bedachtsam und doch mit strahlenden Augen – von ihrem dreiwöchigen Praktikum im südchinesischen Baise erzählt, hat man den Eindruck, dass sie ob des im August und September Erlebten aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen ist.
Vor allem die Tatsache, dass in China täglich akupunktiert wird, beeindruckte sie tief. »In Deutschland wäre das undenkbar: Mehr als ein- oder zweimal in der Woche zu akupunktieren gilt hier als Abzocke«, berichtet die 50-Jährige. In der von ihr besuchten chinesischen Klinik jedoch erzielen die schulmedizinischen Ärzte durch die unterstützende Behandlung mit TCM, zu der unter anderem besagte Akupunktur gehört, durchgreifende Erfolge.
»Akupunktur hilft ja in vielen Bereichen, es kommt aufs Krankheitsbild an«, so die Heilpraktikerin, die selbst das A- und B-Diplom und damit die Vollausbildung in der Akupunktur besitzt. »Aber gerade bei Schmerzpatienten, insbesondere auch bei Rückenschmerzen – sah man die schnelle Besserung durch das tägliche Akupunktieren. Selbst bei Patienten, die anfangs vor Schmerzen kaum auf die Liege kamen.«
Auf eindrückliche Weise sichtbar war die schnelle Besserung unter anderem auch bei Halbseiten-Gesichtslähmungen. »Wir hatten Temperaturen um 40 Grad und bis zu 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. Durch den weit verbreiteten Einsatz von Klimaanlagen bekommen die Leute schnell einen Zug«, erklärt die Heilpraktikerin das in Baise häufig beobachtete Auftreten der Erkrankung.
Diese bewirkt beispielsweise, dass sich das Augenlid der betroffenen Gesichtshälfte nicht mehr schließen lässt. »Durch das tägliche Akupunktieren war das Lid schon nach kurzer Zeit wieder schließbar«, und auch bei einem Schlaganfall setzte man Nadeln gegen die Lähmungserscheinungen, wie die »Praktikantin« gemeinsam mit 19 weiteren deutschen Praktikums-Kollegen feststellte.
Viel öffentlicher
Auch Ärzte befanden sich unter ihnen. In drei Gruppen aufgeteilt beobachteten und lernten sie; sie wurden unterrichtet und behandelten selbst. Die Kommunikation fand auf Englisch statt oder mithilfe eines chinesischen Übersetzers. Dabei durchliefen die Deutschen in der Klinik in Baise mehrere Bereiche, darunter die Intensiv- sowie die Akutstation. Letztere »hat mich total beeindruckt«, lacht Marcella Kuderer leise, »in China geht das viel öffentlicher als bei uns zu«. Denn in einem Zimmer mit drei nebeneinander stehenden Liegen wurden drei Menschen gleichzeitig akupunktiert »und jeder darf von außen reinschauen.«
Organisiert und begleitet worden war das Praktikum durch den in Deutschland praktizierenden und unterrichtenden Professor Yuan. Von dem gebürtigen Chinesen zur Teilnahme eingeladen worden zu sein, bedeutete für die mit ihrer vielköpfigen Familie in Zell Lebende eine Ehre. Umso mehr, als ihr in Baise das dort enorm hohe Ansehen des Professors bewusst wurde. »Da kamen extra Personen, um sich von ihm und auch von uns Deutschen, die wir unter anderem ja bei ihm gelernt haben, behandeln zu lassen.«
Lange Anreise für Patienten
Aus bis zu 300 Kilometern Entfernung reisen die Patienten über viele Stunden in die für sie nächstgelegene und überdies nicht nur stationär behandelnde Klinik in Baise an, quartieren sich für die Zeit der Behandlung teils bei Verwandten ein.
Die im Süden der Volksrepublik China liegende Stadt selbst hat rund 184.000 Einwohner, im gesamten Verwaltungsgebiet der Stadt leben jedoch 3,6 Millionen Menschen. Entsprechend groß ist das Einzugsgebiet der Klinik, in der Marcella Kuderer hospitierte. »Für die Anreise müssen die Leute nicht selten viel auf sich nehmen«, berichtet Marcella Kuderer. Nicht zuletzt bei Entbindungen können die großen und aus ländlichen Gebieten beschwerlich zurückzulegenden Entfernungen ein Problem bedeuten. Umso beeindruckter war die Deutsche von dem Vertrauen der Menschen zu den Ärzten im Krankenhaus. Und von der Zeit, die diese für ihre Patienten aufbrachten. Denn auch zeitaufwändige TCM-Methoden wie beispielsweise Tuina (eine Massage mit spezieller Grifftechnik) oder Schröpfen (die Behandlung mit Saugnäpfen) wenden die Ärzte in Baise eigenhändig an. Allerdings: Dass eine Klinik zur Unterstützung der Schulmedizin die traditionelle chinesische Medizin einsetzt, ist auch in China alles andere als eine Selbstverständlichkeit. »Es gibt dort viele Kliniken, die das nicht machen«, weiß Marcella Kuderer.
Natürlich wurden die »Langnasen« in der Klinik und auf der Straße als Exoten bestaunt. »An jeder Ecke hatten wir einen Paparazzo oder gleich mehrere Paparazzi«, lacht die gebürtige Oberharmersbacherin, »sehr schön fand ich die Offenheit der Menschen und die spürbare Lebensfreude, obwohl es praktisch überall Überwachung gibt.«
Akupunktur sogar bei Babys
Doch auch, wenn sie einiges von der chinesischen Lebensweise und auf Ausflügen an den klinikfreien Wochenenden beeindruckende Landschaften gesehen hat: »Das Interessanteste an den drei Wochen war für mich die Klinik«, strahlt Marcella Kuderer, »von mir aus hätte es noch einige Zeit so weitergehen können.« Nur mit einem Punkt hatte die bereits seit Langem mit TCM Arbeitende zu hadern: Um die Muskulatur anzuregen und den Körperfluss wieder in Gang und Ying und Yang somit wieder ins Gleichgewicht zu bringen, werden in China selbst Kleinkinder und sogar Babys mit Nadeln akupunktiert. Was die Heilpraktikerin aufgrund der damit verbundenen Schmerzen als Körperverletzung betrachtet: »Die Kinder können sich ja nicht äußern.« Als Alternative verwendet sie persönlich einen Farbakupunkturstift, der auf die Haut aufgesetzt wird. Denn: »Kinder reagieren sehr sensibel schon auf kleine Reize.«





