Seit dem Zeller Maifest wurde die Kirchstraße in zwei Teilstücken zu einer Fußgängerzone und zu einem verkehrsberuhigten Bereich umgewidmet. Das Kompetenzteam Verkehr, das im Zuge des Projekts »Zell 2030« gebildet wurde, sieht die Maßnahme Kirchstraße als Teil eines Gesamtkonzepts. Kritiker indes äußern sich nach drei Wochen verärgert und fragen sich, ob »die kürzeste Fußgängerzone der Welt« ein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde wert wäre? Im Gespräch mit Bürgermeister, Geschäftsinhabern und Vertretern des »Kompetenzteams Verkehr« haben wir nach drei Wochen einen ersten Stimmungsbericht zusammengetragen.
Das Thema »Verkehr« ist kein Neues in Zell a. H. Bei der Bürgerversammlung am 6. Juni 2016 konnten sich die 400 Besucher zu acht verschiedenen Themengebieten äußern. Dabei lag das Thema »Verkehr und Mobilität« klar an der Spitze. 115 der insgesamt 550 eingereichten Vorschläge befassten sich mit diesem Thema. Auch im Rahmen des Forschungsprojekts »Zell 2030« erhielt die Verkehrsentwicklung einen besonderen Stellenwert.
Parallel zu der Szenario-Gruppe wurde ein »Kompetenzteam Verkehr« eingerichtet, in dem neben der Stadtverwaltung auch Bürger der Stadt Zell vertreten sind. Dem Kompetenzteam gehören die beiden Architekten Rainer Lehmann und Christian Bruder, Stadtplanerin Kerstin Stern sowie die beiden Geschäftsführer Daniel Lehmann und Kai Broweleit der Firma AgilEvent, Simon Esslinger, Joachim Uhl und Bürgermeister Günter Pfundstein an.
Bereich Kirchstraße darf man nicht isoliert sehen
Hauptthema im Arbeitskreis Verkehr ist aktuell die Kirchstraße. »Wir dürfen den Prozess Kirchstraße nicht isoliert sehen sondern als Teil eines Konzepts«, betont Daniel Lehmann im Gespräch mit unserer Zeitung. Weitere Plätze in der Stadt, die Themen Parkplätze und Kurzeitparken müssten integriert werden. Daniel Lehmann ist sich allerdings auch bewusst: »Wir müssen noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Denn wie ich die Stimmungslage momentan einschätze wird es schwierig werden, dass die Fußgängerzone und der verkehrsberuhigte Bereich über das halbe Jahr hinaus eine Zukunft haben.«
Indes hat sich in den vergangenen drei Wochen einiges getan in der Kirchstraße. Zwei »Straßen«-Cafés sind entstanden. Drei Kunstwerke der »Zeller Kunstwege« verschönern den Bereich. Am Mittwoch wurden die beiden noch fehlenden Arbeiten des chinesischen Künstlers Ren Rong von den Mitarbeitern des Betriebshofs aufgebaut. »Wir wollen die Geschäfte im Marketing unterstützen«, berichtet Daniel Lehmann aus dem Arbeitskreis. So soll unter anderem zeitnah ein Fotowettbewerb »Begegnungen in der Kirchstraße« initiiert werden. Insgesamt, wertet Daniel Lehmann, sei in der Kirchstraße ein schönes Innenstadtbild entstanden. Die Beschilderung könne noch verbessert werden, weist er darauf hin, dass es sich zunächst um eine Versuchsphase handelt.
Spontaneinkäufe gehen zurück
Sehr genau beobachten die Inhaber und Mitarbeiter der angrenzenden Geschäfte die Veränderungen. »Die Spontaneinkäufe gingen zurück, die Frequenz in der Kirchstraße hat nachgelassen«, ist das Team von Claudia’s Blumenparadies unzufrieden. Auch die Parkplatzsituation sei nun schlecht. »Eine Einbahnstraße in Richtung Schule wäre die verträglichere Lösung«, ist man sich hier einig.
»Die Straße als solches ist positiv«, bezieht Inhaber Klaus Bergmann vom Fotofachgeschäft Stellung. Wichtig sei, dass man zum Be- und Entladen in die Straße einfahren könne. Auf den Umsatz in seinem Geschäft habe sich die Fußgängerzone bisher weder positiv noch negativ ausgewirkt. Die Straße müsse sich langfristig entwickeln, meint Klaus Bergmann. Neue Fahrradständer müssten noch installiert werden oder eine E-Bike-Station. Mit einem »Bücherbänkle« vor seinem Geschäft sorgt er schon seit längerer Zeit für einen Kundenstopper.
»Mehr Verkehrschaos als vorher«, sieht Inhaberin Julia Steinke von der »Reiseoase«. Das Parken und auch die Anlieferung von Waren funktioniere nicht. Auch die Ausfahrt über die angrenzenden Seitenstraßen sei oftmals blockiert. Die schlechte Verkehrsführung werde auch von ihren Kunden bemängelt. »Die Maßnahme ist nicht zu Ende gedacht«, stellt Julia Steinke fest.
Der Stein wurde im Zuge des Projekts »Zell 2030« zum Rollen gebracht
Zu Unrecht in der Kritik und sogar persönlichen Beschimpfungen sehen sich die Mitarbeiter und Inhaber Markus Dreher von der Bäckerei Dreher ausgesetzt. »Der Stein wurde im Zuge des Projekts Zell 2030 zum Rollen gebracht«, stellt Markus Dreher fest. Diese Maßnahme habe sich bereits im Herbst 2016 abgezeichnet, als die Stadtbäckerei gerade umgebaut wurde. Dass er als Unternehmer diese Chance nutze, sei nur legitim. Ob für sein Geschäft in der Stadtmitte die Maßnahme nun ein Vorteil oder ein Nachteil sei, könne er noch nicht beurteilen. Auf der einen Seite habe er die Außenbestuhlung gewonnen, auf der anderen Seite sei die Bäckerei von der Kirchstraße her nicht mehr anfahrbar.
Wichtig sei für den Bereich, dass hier urbanes Leben entstehe. Die anliegenden Geschäfte müssten den Bereich nutzen und gestalten, damit es zum Erfolg wird. Markus Dreher sieht die Schließung der Kirchstraße als ein Stück Stadtentwicklung. Man müsse etwas versuchen, dürfe nicht stillstehen. Klar sei, dass es bei Veränderungen auch immer Betroffene gebe. Wichtig sei, dass der Fokus auf dem Gesamten liege und nicht auf Einzelinteressen.
Gefährlicher Begegnungsverkehr von Fahrradfahrern und Autos
Die Zu- und Abfahrt mit den Schulbussen zum Bildungszentrum Ritter von Buß funktioniere weitestgehend, informierte Rektor Martin Teufel. Für eine Dauerlösung müsse allerdings noch nachgebessert werden. Der Wartebereich für die Schüler am Allmendweg gehöre dazu. Zu gefährlichen Begegnungen komme es, wenn Schüler mit ihrem Fahrrad Richtung Nordracher Straße fahren und ihnen Autofahrer entgegenkommen, die – trotz gängiger Verkehrsregeln – am haltenden Schülerbus vorbeifahren.
Erfahrungen sammeln und die richtigen Schlüsse daraus ziehen
Immer wieder richtet Bürgermeister Günter Pfundstein den Blick aus seinem Dienstzimmer auf die Fußgängerzone und den verkehrsberuhigten Bereich in der Kirchstraße. »Ich sehe, dass sie angenommen wird«, berichtet Bürgermeister Pfundstein. Er begrüßt, dass nun auch das Eiscafé »Venezia« die Straße für die Außenbestuhlung nutzt. Geschäftsinhaber hätten im berichtet, dass ihre Umsätze konstant geblieben sind. Mieter in den angrenzenden Häusern hätten die Verkehrsberuhigung begrüßt.
Bürgermeister Pfundstein bestätigt, dass viele Reaktionen und Meinungen unterwegs sind, die ihm direkt zugetragen werden und auch in den sozialen Medien kursieren. »Leider sind da auch Unwahrheiten dabei«, bedauerte Pfundstein. So sei er kein Schulkamerad von Markus Dreher und die Maßnahme wurde auch nicht wegen der Stadtbäckerei durchgeführt. Richtig sei hingegen, dass in der ganzen Stadt keine Nutzungsgebühren für öffentliche Flächen erhoben werden. Schon immer würden Geschäfte und Gastronomiebetriebe in der Innenstadt davon profitieren. Es sei auch nicht beabsichtigt, so Bürgermeister Pfundstein, dies zu ändern.
Dass die Sperrung der Kirchstraße zu einer Umgewöhnungsphase für die Bürger führt, sei unumgänglich. Letztlich gelte es nun in den kommenden Monaten Erfahrungen zu sammeln und daraus dann die richtigen Schlüsse für die Verkehrsentwicklung in der gesamten Stadt Zell zu ziehen.