600 begeisterte Zuhörer und Zuhörerinnen feierten die Miliz- und Trachtenkapelle beim Jahreskonzert in der Reichstalhalle am Stephanstag.
Konzerte der Miliz- und Trachtenkapelle sind oft auch musikalische Entdeckungsreisen. Sie bieten anspruchsvolle und unterhaltsame Bläsermusik, arbeiten darüber hinaus auch die Vielschichtigkeit meist zeitgenössischer Werke heraus.
Am Stephanstag hat vor allem das Hauptwerk des Abends das Publikum euphorisiert. Das naturalistisch inspirierte „Symphony No.1 Marea Negra“ von Antón Alcalde bot eine moderne, im besten Sinn eklektizistische Musik, die aus der Folklore-Tradition der spanischen Heimat des Komponisten schöpft. Dirigent Rüdiger Müller ließ die Musiker und Musikerinnen leidenschaftlich aufspielen. Auch dafür gab es am Schluss stehende Ovationen.
Mit „Majesty“, einer hymnischen Komposition, die Thierry Deleruyelle Queen Elizabeth II. widmete, war der musikalische Auftakt bereits gut gewählt. Fanfarenklang, dynamische Melodien entfalteten eine emotionale Wucht, die das Publikum sogleich mitriss. Im Mittelteil gefielen die dezent aufspielenden Blechbläser und die schöne Holzbläserlyrik, bevor das Schlagwerk das Tempo forcierte, der Fanfarenklang zum Finale überleitete, wo der Marschrhythmus dominierte.
Vom Forte zum Fortissimo
Philip Sparkes „Music for a Festival“ zählt zu den Klassikern der Blasorchester-Literatur, wie man von Flötistin Alisa Jilg erfuhr, die sachkundig und eloquent durch das Programm führte. Sparkes Kompositionen haben Ohrwurmcharakter und die Miliz- und Trachtenkapelle zeigte, wie sie mit Dynamik und Klangfarben umgehen und unterschiedliche Musikstile virtuos miteinander verknüpfen kann.
Swing- und Pop-Elemente leuchteten auf, wenn die Percussion pulsiert und das Saxophon Jazzphrasierungen einbringt. Barocke Einflüsse ließen aufhorchen, als Fagott und Querflöten im 2. Satz die melancholische Grundierung ausformten. Und was tänzerisch begann, steigerte sich im 3. Satz vom Forte zum Fortissimo. Dirigent Rüdiger Müller arbeitete den „Drive“ nach vorn aus und diesen Ausdruckswillen vernahm man in der ersten Reihe zwar lautstark, aber piekfein und höchst differenziert dargeboten. Eine Ensembleleistung, die mit reichem Beifall quittiert wurde.
Artikulatorische Raffinesse und Disziplin
Geschichten erzählen sie alle, die Komponisten. Doch der Niederländer Eric Swiggers wollte mehr, denn seine musikalische Erzählung „The Legend of Amaterasu“ schöpft aus dem Shinto-Glauben in Japan: Die Sonnengöttin, die sich nach einem Streit mit dem Sturmgott in eine Grotte zurückzieht, sodass kein Licht mehr auf die Erde fällt, wird von der Gemeinschaft der Götter mit einer List ins Freie gelockt und auf der Erde scheint die Sonne wieder.
Die Spielfreude der Musikerinnen und Musiker überzeugte von den ersten Takten an, ebenso die artikulatorische Raffinesse und Disziplin, mit der sie die Stimmungsbilder der Komposition wiedergaben. Geradezu ein sinnliches Spiel mit den Nuancen der Lautstärke und der Farben. Unter dem Dirigat Müllers ließ das Orchester dem Werk eine maximale Klangkultur angedeihen. In den Applaus der Zuhörerinnen und Zuhörer mischten sich die ersten „Bravo“-Rufe.
Originell an Melodik und Rhythmik
Aufpeitschende Dramatik und spannende Momente sowie eine zünftige Prise Humor kennzeichneten „The Fly“ von Oscar Navarro. Zudem ein Kabinettstück der Programm-Musik, das die verzweifelte „Jagd“ eines von einer summenden Fliege im Schlaf gestörten Zeitgenossen musikalisch beschreibt.
Das turbulente Katz- und Maus-Spiel zwischen dem Verfolger und der Verfolgten bis zur finalen „Klatsche“ sorgte im Publikum für etliche Lacher, produzierte das Orchester doch Klänge, wie man sie nicht alle Tage hört: Da war vor allem die Sportlichkeit der Perkussionisten an ihrem vielfältigen Instrumentarium gefordert.
Die Bläser meisterten rasante Tempi mit sinfonischer Klasse, ließen vereinzelt kurze Soli aufblühen, originell an Melodik und Rhythmik. Erstaunlich, wie es Rüdiger Müller, der das Orchester seit sechs Jahren leitet, immer wieder gelingt, das Feuer in den Musikern und Musikerinnen zu entfachen und einen kompakten Klangkörper zu formen. Jubel und Ovationen in der Reichstalhalle.
Zwischentöne und Emotionen
Den emotionalen Höhepunkt des Abends bildeten die vier Sätze der „Symphony No.1 Marea Negra“. Die bis dato größte Öl- und Umweltkatastrophe mit verheerenden Folgen für die Nordwestküste Spaniens hatte 2004 den damals 15-jährigen Antón Alcalde tief bewegt. Das musikalische „Wunderkind“ komponierte ein Werk, das zum Welthit der Blasmusik wurde.
Die Miliz- und Trachtenkapelle musizierte flexibel und mit punktgenauer Präzision. Oszillierendes Schlagwerk, dissonanter Waldhornklang deuteten die beginnende Tankerhavarie an, welche die Katastrophe auslöste („Marea Negra“ – „schwarzes Meer“). Klagende Töne der Oboe und melancholischer Flötenklang waren zu hören, immer mehr Zwischentöne und Emotionen, sodass ein bemerkenswerter Tuttiklang entstand.
Ein Kaleidoskop an Klängen
Es ließen sich viele einzelne Momente in diesem monumentalen Klangbild herauspicken: plakative Motivfragmente, die im dichten Satz aufleuchteten, eine melodische E-Piano-Melodie, virtuose Percussion und andere instrumentale Überraschungseffekte. Ein Kaleidoskop an Klängen, aufwühlend und klangintensiv bis zum strahlenden Schluss, der die gesäuberten Strände und das gereinigte Meer („Marea Blanca“ – „weißes Meer“) versinnbildlicht.
Eine zutiefst beeindruckende Interpretation des Werks, die mit tosendem Beifall und Jubelrufen honoriert wurde. – Zwei Zugaben gab es, die den Akteuren und dem Publikum viel Freude machten. „Es war uns ein Fest“, sagte Moderatorin Alisa Jilg zum Abschied. Durchaus passend zum Ausklang der Weihnachtsfeiertage.