Lisa Dickreiter begeisterte mit ihrer Auftaktlesung an der Grundschule Nordrach, Zell und Unterharmersbach folgten.
Ohne eine für Kinder langweilige Vorrede steigt Lisa Dickreiter gleich voll ein: „Ihr seid ja schon in der dritten und vierten Klasse, deshalb lese ich Euch jetzt eine Gruselgeschichte vor“, sagt die studierte Dramaturgin und mehrfach preisgekrönte Autorin, lässt sanft Geheimnisvolles in ihrer Stimme mitschwingen.
„Ouhhh, huuu“, tönt es ihr aus 34 Kehlen entgegen. Gemäß vorheriger Absprache mit der Nordracher Grundschulleiterin Petra Großmann werden die Vorhänge vor den Fenstern der kleinen Turnhalle zugezogen. Schön alt ist die und holzgetäfelt – geisterhaft schummrig ist es hier nun und erwartungsvoll still, im Nullkommanix hat die 45-Jährige sie eingefangen: die volle Aufmerksamkeit der Kinder.
Nun kann sie erst einmal ausholen. „Es gibt eine Buchreihe „Max und die Wilde 7. Vielleicht kennt ihr sie?“ Bunt gemischte „Ja“- und „Nein“-Antworten schallen der Mutter eines neunjährigen Sohnes entgegen. „Die Bücher habe ich zusammen mit meinem Mann geschrieben. Und es gibt einen Kinofilm, den habe ich auch mit meinem Mann zusammen gemacht“, erklärt Lisa Dickreiter. Ein ebenfalls gemeinsam produzierter Kinofilm vom zweiten Buch der Reihe wird im März herauskommen. „Dieses zweite Buch von „Max und die Wilde 7“ würde ich Euch gerne vorlesen, es heißt: „Die Geisteroma.“
Zunächst stellt die Autorin den Acht- bis Zehnjährigen den Protagonisten des Buches vor. „Der heißt Max, ist ungefähr so alt wie ihr, und er ist das einzige Kind in einem Altersheim!“ Er lebt dort also unter lauter „schrumpeligen Omas und Opas“, in einer fremden Stadt. Denn seine Mama, eine Altenpflegerin, ist mit ihm dorthin gezogen. Sie ist alleinerziehend, seit Max` Papa eines Tages einfach verschwand, nur einen Zettel mit den Worten „sucht mich nicht“ ließ er zurück. Genau deswegen will Max gerne Detektiv werden: Weil er eines Tages seinen Papa suchen will.
Das Altersheim befindet sich in einer ehemaligen Ritterburg mit Namen „Geroldseck“ – was nicht von ungefähr kommt, kommt Lisa Dickreiter doch „hier aus der Gegend“, sie wuchs in Ohlsbach auf. Die Ritterburg findet Max eigentlich cool, außerdem freundet er sich mit drei der „schrumpeligen“ Insassen an: Mit Vera, der ehemals berühmten Schauspielerin, mit Horst, einem dereinst berühmten Fußballtrainer, und mit dem Professor Kilian, der alle Dschungel dieser Welt kennt. Die drei heißen „Die Wilde 7“, weil sie im Speisesaal des Altenheims an Tisch Nummer 7 sitzen.
Als „wild“ bezeichnet werden sie, weil sie sich einfach nicht an die Regeln der überstrengen Oberschwester Cordula halten wollen, die außerdem weder Kinder noch Katzen leiden kann. Und Max ist ein Kind und hat obendrein einen Kater. Einen, der Motzkopf heißt. Warum der immer motzt? „Weil er kein Futter bekommt?“, rät eines der Kinder. Genau – die moppelige Fellnase ist nämlich auf Diät. “Aber die Omas und Opas geben ihm heimlich Kekse“, verrät Lisa Dickreiter hinter vorgehaltener Hand, die Kinder kichern.
„Voll gemein, ne?“
Diese vielversprechende Hin-tergrundgeschichte, lebhaft und spannend aus dem Stegreif vorgetragen, glänzt mit weiteren Ingredienzien. Denn da gibt es noch Ole Schröder und seine Kumpels, von denen Max in seiner neuen Schule sofort gemobbt wird. „Opa“ nennen sie ihn, weil er im Altersheim wohnt. „Voll gemein, ne?“ meint die Autorin zu den ihr kräftig zustimmenden Kindern. Als es Max (im ersten Band der Reihe) gemeinsam mit „Die Wilde 7“ gelingt, einen Einbrecher zu stellen und das dann so auch in der Zeitung steht, hat Ole zwar das Nachsehen, Max ihn aber dennoch weiterhin am Hals.
Im zweiten Band dieser Bücherreihe bekommen Max und das Seniorentrio es wie gesagt mit einer Geisteroma zu tun. Als Lisa Dickreiter vorliest, wie Max diese Gestalt mit eigenen Augen sieht – im weißen Nachthemd, mit schwarzen Augenhöhlen – holen die Kinder tief Luft, schauen sich gegenseitig an. Manche sitzen vor Spannung still und steif, andere rutschen auf ihren Stühlen hin und her, und wieder andere lassen vor Aufregung die Beine hin und her schwingen.
„Gibt es Geister?“, fragt die Autorin sogleich. Die Antwort der Kinder lautet unisono „Nein!“ Das wäre also schon einmal geklärt, das beruhigt. Aber: Das hat Max auch gedacht, dennoch hat er die Geis-teroma doch selbst gesehen! Zum Glück gehört zu der Wilden 7 der alte Professor: „Es gibt keine Geister, ihr müsst denken wie Detektive“, spornt er den Jungen und dessen betagte Helfer an.
„Was würdet Ihr machen“, fragt die Autorin prompt in die Runde. Die Kinder melden sich eifrig, denken nach, rätseln. Und so geht es weiter – Lisa Dickreiter liest, macht Pausen, um die Kinder einzubinden, erzählt ein Stück der weiteren Handlung, liest wieder vor – beziehungsweise: Sie performed, packend, anschaulich.
In überaus lebendigen Szenen erleben die Kinder auf diese Weise unter anderem, dass Max trotz seiner teils schlimmen Angst kein Angsthase ist, der seine Freunde im Stich lässt. „Darum geht es in dem Buch“, erklärt die Autorin, „dass man immer zusammenhält.“ Gleichzeitig geht es gehörig witzig zu in dem Buch zu, sprachlich wie inhaltlich – beispielsweise, wenn sich Max mit Motzkopf als „Alarmanlage“ und Staubsaugerrohr zur Verteidigung „bewaffnet“, um dem seltsamen Geist auf die Schliche zu kommen.
Als die Vortragende den Text schließlich mit einem entschieden das Ende verkündenden „So, Ihr Lieben“ zur Seite legt, ertönt ein vielstimmig enttäuschtes „Neiiiin!“. Dem begegnet Lisa Dickreiter mit einem aufmunternden: „Habt Ihr noch Fragen zu mir als Autorin?“ Oh ja, die haben die Kinder, und zwar jede Menge. Mit dem Ergebnis, dass sie unter anderem Folgendes erfahren:
Kreative Fleiß- und Schweißarbeit
Lisa Dickreiter lebt in Berlin und im hiesigen Fischerbach. Sie ist Buch- und Drehbuchautorin für Kinder und Erwachsene, ihren Mann (51) hat sie an der Universität (der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg) kennengelernt, wo sie „das Drehbuchschreiben“ und er „Regisseur“ studiert hat. In 20 gemeinsamen Jahren ist inzwischen eine stattliche Liste an – vielfach preisgekrönten – Werken entstanden. Einen Band der Reihe „Max und die Wilde 7“ zu schreiben hat insgesamt ein Jahr gedauert. „So lange?“, staunen die Kinder. „Ja, Leute, das Buch hat über 200 Seiten, und wenn ich zum Beispiel drei Seiten am Tag geschrieben habe, bleibt mir – falls überhaupt – zum Schluss nur eine brauchbare Seite übrig.“
In der Verfilmung des ersten Bandes „Max und die Wilde 7“ („Das schwarze Ass“), haben Lisa Dickreiter und ihr Sohn als Komparsen mitgespielt. (Den Kinofilmtrailer kann man sich unter anderem auf youtube anschauen). „Ich wollte nicht“, erzählt sie lachend, „aber mein Sohn wollte unbedingt.“ Und fand es dann – gemeinsam mit seinem Freund – aufgrund zigmal zu wiederholender Szenen derart anstrengend, dass die beiden beschlossen, „niemals im Leben Schauspieler zu werden.“ Umso schöner sei ihr Leben als Autorin, erzählt die entsprechend Befragte, die mit sieben Jahren ihr erstes Buch schrieb. „Der Bär der Miauma“, lächelt sie, „aber dieses Buch hatte nur fünf Seiten.“
Lesetasche gestohlen
Auf die Frage „Wer kann Autor werden?“ hat Lisa Dickreiter eine entschiedene Antwort: „Jeder! Ihr könnt alle schreiben und Ihr habt alle Fantasie, lasst Euch nicht abhalten!“ Und noch einen Ratschlag hat sie: „Wenn Ihr etwas wollt, dann könnt Ihr es auch schaffen.“
Obwohl die Lesung nun, nach über einer Stunde, eigentlich zu Ende wäre, lassen die Kinder sie nicht gehen. Also holt sie ihren Laptop heraus, um zum Abschluss ein witzig-spannendes Kapitel aus dem dritten Band zu lesen: „Max und die Wilde 7 und die Drachenbande“. Normalerweise lese ich direkt aus meinen Büchern vor“, erklärt die in renommierten Verlagen Publizierende und von hoch angesehenen Agenturen Vertretene. Doch auf der Zugreise von Berlin in die Ortenau war ihr die „Lesetasche“ gestohlen worden.
„Der Dieb wird sich geärgert haben“, feixt die Autorin, „in der Tasche waren nur Bücher und Lesezettel, eine angegessene Banane und Taschentücher.“ Für sie sehr ärgerlich jedoch. Umso mehr, als sie im Buchhandel auf die Schnelle keinen Ersatz erhalten konnte, da ihre Bücher derzeit besonders stark gefragt sind. Der Grund: Ihr (sowie Co-Autor Andreas Götz und Illustratorin Barbara Scholz) wurde am 14. Oktober der Deutsche Kinderbuchpreis 2023 zugesprochen für „Karlchen hilft allen, ob sie wollen oder nicht“. Im Übrigen: Karlchen ist ein Mädchen.
Aus diesem Buch hatte Lisa Dickreiter am vergangenen Mittwoch ebenfalls an der Nordracher Grundschule vorgelesen – und zwar den Erst- und Zeitklässlern, die vor den beiden höheren Klassen an der Reihe waren. Am Donnerstag dann folgte eine Lesung für Zeller Schüler, und am heutigen Freitagvormittag durften die Klassen der Unterharmersbacher Grundschule die begnadete Autorin live erleben.