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Biberach | 17.11.2021

Schusterkugel und Schusterpalme gehörten dazu

Werner Benz kennt sich mit den Schuhmachergeräten des Biberacher Ketterermuseums aus

Foto:
Werner Benz in der Schuhmacher-Abteilung des Biberacher Heimatmuseums »Kettererhaus«. Foto: Inka Kleinke-Bialy
von Inka Kleinke-Bialy

Ob Schuhmodelle in Form hölzerner Leisten oder zum Beispiel eine hochbetagte Schleif- und Poliermaschine: Wer einen Einblick in altes Schuhmacherhandwerk gewinnen möchte, der wird im Biberacher Heimatmuseum »Kettererhaus« fündig.

Ein per Hand zweifach genähter Schuhboden, auch Brandsohle genannt.
Foto: Inka Kleinke-Bialy
Ein Schuh aus dem 19. Jahrhundert, dessen Sohle nicht genäht, sondern mit Holz- und Stahlnägeln befestigt wurde.
Foto: Inka Kleinke-Bialy
Ein per Hand zweifach genähter Schuhboden, auch Brandsohle genannt.
Foto: Inka Kleinke-Bialy
Leisten und Werkzeug sind noch heute in einer Schuhmacherei zu finden – die Schusterkugel schon lange nicht mehr.

Mit den ausgestellten Ge­rätschaften und Utensilien kennt Werner Benz sich nur zu gut aus – noch am letzten Museumstag hatte der gebürtige Steinacher wissensdurstigen Besuchern in Biberach ebenso Rede und Antwort gestanden, wie er es ab und an in seinem Heimatort zu tun pflegt.

»Ich bin in einer Schusterwerkstatt praktisch aufgewachsen«, erzählt der 68-Jährige. In vierter und letzter Generation betrieb er eine 1872 gegründete Schuhmacherei. So ähnlich, wie sein Urgroßvater und auch Benz selbst werkelte, arbeitet heutzutage nur noch der eine oder andere Maßschuh-Hersteller.
Was sich dort jedoch im hochpreisigen Segment bewegt, ließ anno dazumal nicht umsonst den Kinderreim entstehen: »Im Keller ist es duster, da wohnt der arme Schuster.« Ursache für das eine wie das andere: Die extrem aufwändige Handarbeit, die im Erstellen maßgenommener und komplett per Hand gefertigter Schuhe steckt.

Duster war es vor der Verfügbarkeit von Strom, weil dem »Ledernäher« bei seinem diffizilen und hochgenauen Arbeiten lediglich eine Schusterkugel als Beleuchtungshilfe zur Verfügung stand. Ein solches Exemplar bringt Benz bei Museumseinsätzen von seiner eigenen, inzwischen museal eingerichteten Werkstatt mit: Eine mit Wasser gefüllte Glaskugel, die man vor eine Kerze stellte, um deren Licht zu verstärken.

Zudem gehörte laut Werner Benz ein Kanarienvogel im Holzkäfig in der Regel ebenso zu einer Schuhmacherwerkstatt wie die so genannte Schusterpalme, »die hat in der dunkelsten Kammer überlebt.« Doch zurück zur Handarbeit. »Der Leisten ist das Grundding beim Schuhmachen«, erklärt der Ruheständler und nimmt ein viele Jahrzehnte altes Gebilde aus Holz in die Hand. »Damit macht man praktisch das Modell vom Fuß – natürlich mit Zugabe«, erläutert der Senior, »das ist dann das Modell für den Schuh«.

Ein Leisten für beide Füße

Ein ganzes Lager solcher für jeden Kunden einzeln angefertigten Modelle besaß ein Schuster, wobei er ein Stück Holz so lange mit der Feile bearbeitete, bis es den vom Fuß des Kunden abgenommenen Maßen entsprach. »Die Römer vor 2000 Jahren hatten schon eine Rechts-Links-Unterscheidung bei den Schuhen«, weiß Werner Benz, »aber das ging dann verloren.«

Bis 1860 oder 1870 ungefähr habe es daher den sogenannten »einballigen Leisten« gegeben, der für den linken und rechten Fuß von gleicher Beschaffenheit war. Mit dem Ergebnis, dass ein neues Paar Schuhe zunächst eingetragen werden musste. Um die damit verbundenen Schmerzen zu umgehen, »ließen die reicheren Leute früher ihre Schuhe von jemandem eintragen, der in etwa die gleiche Fußgröße und -form hatte«, weiß der historisch interessierte Schuhmachermeister.

»Der Leisten ist das Ausschlaggebende«, betont er, »bis der 100-prozentig sitzt, das dauert.« Heutzutage erleichtern zwar vorgefertigte hölzerne Rohlinge sowie eine Schleifmaschine die Arbeit, doch die Feinabstimmung für einen Maßschuh wird noch immer per Hand und Feile erledigt.

Das Fundament des Schuhs bildet die »Brandsohle« genannte Innensohle. Ist sie auf den Leisten aufgebracht, wird das zuvor in Form gebrachte Oberleder – also der Schaft – stramm über den Leisten gezogen und mithilfe einer Zwickzange sowie Zwickstiften aufgezwickt. Zwickstifte, das sind schmale Metallnägel, die später wieder herausgezogen werden. Eine komplizierte Sache stellt vor allem das Formen von Vorderkappe und Fersenteil auf dem Leisten dar. Mit einem speziellen Schusterhammer wird das Leder anschließend vorsichtig geklopft, um mögliche Lederfalten völlig zu beseitigen.

Arbeits- und Sonntagsschuh

Der normale, billige Schuh als Arbeitsschuh wurde früher anschließend holzgenagelt – d. h. schmale Holzstifte verbanden Sohle und Oberleder dauerhaft miteinander. Der feinere Schuh hingegen – beziehungsweise der »Sonntagsschuh« – war meist rahmengenäht. Damals wie heute wird dieser Rahmen aus Leder genau auf das Maß der Brandsohle zugeschnitten. Eine später unsichtbare Rahmennaht hält Brandsohle, Oberleder und Rahmen zusammen.

Der zwiegenähte (also zweifach genähte) Boden als dritte Variante kam und kommt bei besonders beanspruchten Schuhen zum Tragen – als Beispiel zeigt Werner Benz einen alten Wanderschuh mit Untersohle. Zum Schluss wird dann noch eine Laufsohle aufgenäht. Wobei die Naht geschützt in einer zuvor eingeritzten Kerbe liegt, »sonst läuft man den Faden ja gleich wieder ab.«

»Bei meiner Meisterprüfung 1982 waren wir der letzte Jahrgang, der noch von Hand nähen musste«, erinnert sich der Familienvater, »ein Jahr später durfte schon geklebt werden.« Und  so vermag er zu demonstrieren, wie ein Schuster den zum Nähen verwendeten Faden, den »Pechdraht«, früher selbst herstellte. Dazu musste ein Hanffaden in einer speziellen Technik zu einem mehrere Meter langen, mehrlagigen Strang gewickelt und dessen Enden mit viel Gefühl gedreht und spitz gezupft werden.

»Pechdraht« selbst­gemacht

Zuvor jedoch galt es, den Faden wasser- und verrottungsfest zu machen. Dazu wurde er mit hellem Schusterpech eingerieben. Schnell und kräftig mussten die Bewegungen sein, damit das Pech warm wurde, sich somit gut im Fadenstrang verteilte. Anschließend wurde Bienenwachs aufgetragen.

Zum Schluss dann galt es, die beiden »verspitzten« Fadenenden mit einer an deren Spitze wiederum vorsichtig auseinander gezogenen Schweineborste zu verzwirbeln. .»Das macht heute keiner mehr«, weiß Benz, »das lernen nicht einmal mehr die Lehrlinge.« Dank der Borste konnte der Pechdraht Stich für Stich durch die unzähligen kleinen Löcher geführt zu werden, die der Schuster mit der Ahle und höchster Akkuratesse in Sohle, Rahmen und Oberleder vorstach.

Zu vielen weiteren Arbeitsschritten gehört unter anderem die Aufschichtung des Absatzes. In der alten Handwerkskunst wurden dazu dünne Lederstücke Lage für Lage per »Bärenkleber« und Holznägel miteinander verbunden und anschließend in Form gebracht – früher mit scharfem Messer und Raspel, »seit etwa 1900 meist mit Hilfe einer Schleifmaschine.«

Handwerk

Erst im fünften Jahrhundert vor Christus trennte sich der Beruf des Gerbers von dem des Schuhmachers beziehungsweise Schusters. Aufgrund der Industrialisierung ging die Herstellung manuell gefertigter Schuhe seit 1870 stark zurück, wird heutzutage fast nur noch von Maß- und Orthopädieschuhmachern betrieben. Die meisten der heutigen Schuhmacher arbeiten in Reparaturbetrieben, doch die manuelle Herstellung eines Paars Schuhe gehört noch immer zur Gesellenprüfung.

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Kettererhaus-Museum Biberach

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