Am Montag geht’s mit dem Naturkindergarten in Biberach offiziell los. Den Beschluss hatte der Gemeinderat Ende Juli getroffen. Gewerkelt und vorbereitet wird rund um die „Basis“ am ehemaligen Klettergarten in den Bruchmatten immer donnerstags schon seit rund acht Wochen.
Mit der Betriebsaufnahme geht für die treibenden Kräfte hinter dem freien, aktiven Naturkindergarten ein Traum in Erfüllung. Lange mussten sie dafür kämpfen. Fast eineinhalb Jahre dauerte die Suche nach einem geeigneten Standort, mehrmals besuchten die Elternvertreter Sarah Lewkowitz, Pia Porter und Sandra Lehmann den Gemeinderat, um für ihr Anliegen zu werben.
Dass es schlussendlich der ehemalige Klettergarten geworden ist, sehen alle als großes Glück. Der Standort am Waldrand ist ideal, der Bauernhof im Bruch, mit dem eine Kooperation angestrebt ist, ist fußläufig erreichbar. Es gibt bereits einen Unterstand, der vor Regen und Sonne schützt, ein Bauwagen kann leicht aufgestellt werden. Bis er da ist, dürfen die „Naturkinder“ das Tennisclubheim als Notunterkunft benutzen. Dort sind dafür so gut wie keine Umbauten erforderlich. Erste Beerensträucher sind bereits gepflanzt, damit im nächsten Sommer schon geerntet werden kann und der Mutterboden für einen noch anzulegenden Gemüsegarten wurde auch schon gebracht.
Alles zu seiner Zeit
Immer donnerstags haben sich seit ein paar Wochen die Kinder, die ab Montag den Naturkindergarten besuchen, schon mit der neuen Umgebung und den neuen Menschen, die sie betreuen werden, vertraut gemacht. Fünf kleine Menschen kommen ab dem 1. Dezember, im Januar werden zwei weitere in die Gruppe aufgenommen. Bis zum März wächst die Einrichtung auf neun Kinder an. Stück für Stück können dann bis zu 25 Kinder aufgenommen werden.
Verfolgt wird im Naturkindergarten Biberach das Frei-Lern-Prinzip. Will heißen: Das freie Spiel hat einen hohen Stellenwert. Die Kinder sollen die Umwelt in ihrem eigenen Tempo wortwörtlich „begreifen“ können. Der Naturkindergarten orientiert sich an der Naturpädagogik und basiert auf dem Montessori-Ansatz „auf die inneren Wachstumskräfte der Kinder vertrauen“. Sensible Phasen des Lernens sollen so bestmöglich genutzt werden.
Sogenannte Primärerfahrungen spielen in der Konzeption eine große Rolle. Erfahrungen mit den Jahreszeiten, mit den Naturelementen, mit Tieren und Pflanzen. Dem ausgeprägten Bewegungsdrang von Kindern kann im Naturkindergarten ebenfalls gut nachgegangen werden. Die Motorik wird durch das Gelände geschult. Reichliche Bewegungsmöglichkeiten gelten als Basis für die intellektuelle Entwicklung. Mut und Vertrauen sollen gefördert werden. Maria Montessori formulierte einst herrlich prägnant: „Wenn Sie Ihr Kind heute sauber aus der Kita abholen dann hat es nicht gespielt und es hat nichts gelernt.“
Sonderstellung: Tierwelt
Zum Wald und zur Natur kommt in Biberach ein weiterer Aspekt des „Begreifens“: die Tierwelt. Ein Hof im Bruch freut sich schon auf die Kooperation. Die Kinder können sich dort um Gänse, bald wohl auch um Ziegen, Hasen, Hühner und Katzen kümmern. An einem anderen Ort gibt es ein Pony, das sie pflegen können und auf dem sie reiten dürfen. Und dann gibt es noch Peter, einen achtjährigen Ziegenbock, der zusammen mit Kindergarten-Leiter Helmut Siegl den Weg nach Biberach gefunden hat. Siegl sieht aus wie ein liebevoller Märchenonkel und steht samt Peter bei den Kindern schon jetzt hoch im Kurs.
Mit Bart und Ziege
Der erfahrene Erzieher mit dem weißen Rauschebart erfüllt sich mit dem Aufbau des Naturkindergartens ebenfalls noch einmal einen Lebenstraum. Den ersten Kontakt mit dem Konzept „Bauernhofpädagogik“ hatte er, als er eine Außenwohngruppe auf einem Bauernhof betreute. Nach einer Zeit in Wuppertal, wo er als Diakon, Dozent und Hausvater tätig war, zog es ihn 1995 zurück ins Ländle. In Rötenberg (Lkr. Rottweil) trat er einen Vertretungsdienst in einem Regelkindergarten an, den er später dreigruppig leitete. Zurück in die Natur ging es für Siegl mit der Gründung des Waldkindergartens in Freudenstadt, der – genau wie der Naturkindergarten Biberach – aus Betreiben einer Elterninitiative entstand. Als seine Tochter, ebenfalls Erzieherin, ihr Anerkennungsjahr auf einem Bauernhof-Kindergarten absolvierte, packte Siegl das „Heimweh“. Wald ist klasse, dachte er sich, Bauernhof ist noch besser. Alle notwendigen Lebensbereiche, Mensch, Natur, Garten, Tiere, konzentrieren sich dort. Mehr braucht es nicht, um zu leben, meint er. Als der Walddorf-Kindergarten Schiltach die Leitungsstelle ausgeschrieben hatte, bewarb er sich, wurde eingestellt und trieb dort sein Bauernhofprojekt voran, was dieser Einrichtung eine volle Warteliste bescherte. Irgendwann hatte Siegl dann Frauen aus der Biberacher Elterninitiative kennengelernt und sich dafür entschieden, mit Peter in Biberach zu wirken. Der Ziegenbock fährt jeden Tag mit ins Tal. „Er ist manchmal fast wie ein Hund“, lacht Siegl und zeigt auf seinen Mini-Van, in dem Peter im Kofferraum nur allzu gerne Platz nimmt.
Das Team
An Siegls Seite steht Katharina Guyot als zweite pädagogische Fachkraft. Die Erzieherin hatte vor zwei Monaten über Bekannte von dem Projekt erfahren und nutzt die Chance, um nach der Elternzeit in den Naturkindergarten einzusteigen. Sie wird die Natur zusammen mit den Kindern entdecken und wünscht sich eine tolle Zeit „und dass sich der Naturkindergarten etabliert“. Schon jetzt stellt sie fest, dass die Naturpädagogik durch die neue Einrichtung mehr ins Bewusstsein der Eltern kommt. „Man spricht darüber“, sagt sie.
Komplett wäre das Team, wenn sich noch ein Erzieher (m/w/d) in Teilzeit für das Projekt finden würde. Bewerbungen nimmt der Naturkindergarten jederzeit gerne entgegen.
„Naturkind“ werden
Das Betreuungsangebot im Rahmen der sogenannten verlängerten Öffnungszeiten (montags bis freitags von 7.30 bis 13.30 Uhr) gilt für Kinder ab 3 Jahren. Die schlechte Nachricht: Schon jetzt besteht eine Warteliste. Aufgenommen werden die Kinder chronologisch nach dem Alter, wobei Geschwisterkinder Vorrang haben. Da der Kindergarten in der Trägerschaft des Elternvereins liegt, ist eine Mitgliedschaft im Verein „Natürlich lernen Biberach e. V.“ Voraussetzung für die Aufnahme.