Weg von der Kohle – So deckt der Papierproduzent seinen Energiehunger
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Foto: OestreichPapierherstellung lebt von Erneuerung. Der Recyclinggedanke ist seit langem in der Branche verwurzelt. Ursprünglich entstand Papier aus Lumpen. Erste Papiermühlen entstanden an Fließgewässern. Wasserkraft wurde gebraucht, um Maschinen anzutreiben. Wasser war auch notwendig, um die Fasern aus gesammelten Lumpen herauszulösen und daraus einen Brei anzurühren. Der Papierbrei wurde in Holzrahmen geschöpft, die mit einem dichten Drahtgeflecht bespannt waren. Nach zeitaufwändiger Trocknung entstanden Papierbogen. Das Murgtal entwickelte sich zum Zentrum der Schwarzwälder Papier herstellung.
Die Anfänge
In Oberkirch erwarb 1807 der Karlsruher Kaufmann Otto Koehler eine Papiermühle. Mit der Aufstellung der ersten Papiermaschine anno 1865 verabschiedete man sich von der Schöpftechnik. Als Rohstoff bei der Papierherstellung setzte sich Holzschliff und Zellstoff durch. Die Verwertung von Altpapier geht auf das 18. Jahrhundert zurück. In der Wachstumsphase verwandeln Bäume Kohlendioxid zu Sauerstoff. Während der Wiederaufbereitung des gebrauchten Papiers bleibt das Kohlendioxid in den Holzfasern gespeichert. Bis zu sechs Mal kann Papier recycelt werden. Erst durch Verbrennung wird das Kohlendioxid wieder freigesetzt.
Rohstoffe effizient nutzen
Die Reduktion des Wasserverbrauchs war nicht zuletzt eine ökonomische Notwendigkeit. Noch in den 1970er Jahren lag der durchschnittliche Wasserverbrauch bei 50 Liter pro hergestelltem Kilogramm Papier. Durch Optimierung der Herstellungsverfahren gelang es der Branche diesen auf sieben Liter zu reduzieren. Mit einem Wasserkonsum von vier Liter pro Kilo Papier nimmt das Koehler Papierwerk in Kehl aktuell einen europäischen Spitzenplatz ein. Einer der größten Kostenstellen bei der Papierherstellung stellen die Energiekosten dar. Wärme wird benötigt, um das bei der Herstellung zugeführte Wasser wieder aus den Papierbahnen zu entfernen. Lag der Verbrauch 1955 noch bei 8.200 kW pro Tonne, sind es aktuell noch 2.600 kW. Bei der Papierproduktion aus Altpapier sind Energieeinsparungen von rund 75 Prozent möglich. Wohl verweist man bei Koehler auf den Betrieb von fünf Wasserkraftwerken, doch sind diese bei weitem nicht ausreichend den gewaltigen Energiehunger an den vier deutschen Papierstandorten zu stillen. Momentan nimmt die Kohle noch einen breiten Raum ein, um die Energie lücke mit Strom und Dampf zu schließen.
Was die Papierindustrie beschäftigt
Abgesehen von geringen konjunkturellen Schwankungen kennen Rohstoff-, Wasser- und Energiepreise nur eine Richtung. Wurden bisher die Marktpreise von nachvollziehbaren Größen wie Förder- und Transportkosten, Angebot- und Nachfrage bestimmt, sorgt seit 2020 der CO2-Preis für fossile Energien und seit einem Jahr Turbulenzen infolge des Ukraine-Krieges für Unsicherheit in der Branche. Aktuell deckt fossile Energie noch etwa 50 Prozent des Energiebedarfs der Papierindustrie. Die Deutsche Industriebank spricht von Stillständen nach dem Weihnachtsgeschäft bis weit in das Jahr 2023 hinein. Trotz Ausschöpfung aller Einsparpotenziale arbeiten viele Betriebe unprofitabel. Die Papierindustrie ist ständig damit beschäftigt Überkapazitäten abzubauen und gleichzeitig neue Märkte mit zukunftsfähigen Produkten zu erschließen.
Koehler heute
Die Papierproduktion des Familienunternehmens verteilt sich auf vier deutsche Standorte. Der Jahresabsatz liegt aktuell bei 500.000 Tonnen Papier. Mit Thermopapieren und Bierglasuntersetzern hat man den Sprung an die Weltmarktspitze geschafft. Im Marktsegment Selbstdurchschreibepapier ist man europaweit führend. Mit Dekorpapieren wird die Möbel- und Laminatindustrie bedient. Es folgt ein breites Portfolio an Fein- und Recyclingpapieren. Gemeinsam mit der TU Darmstadt arbeitet man an der Entwicklung neuer Papiere, die flexible Kunststoffe im Verpackungswesen ersetzen sollen.
Dekarbonisierung
Derweil führt der steigende Preis für CO2-Zertifikate dazu, dass die verbliebenen Kohlekraftwerke Ende der 2020er-Jahre unter wirtschaftlichem Druck vom Netz gehen. Für Koehler hat die Dekarbonisierung längst begonnen. Die Koehler Renewable Energy (KRE) hat seit 2012 einen festen Platz in der Koehler-Gruppe und möchte aktiv an der Energiewende mitwirken. Unternehmensgegenstand ist die Gründung, der Erwerb und das aktive Management von Beteiligungen an Gesellschaften, die Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugen und bereitstellen. Der Verkauf von Strom und Dampf aus erneuerbaren Brennstoffen hat sich zu einem bedeutenden Standbein entwickelt und wird weiter vorangetrieben. Man investiert in Biomasse-Heizkraftwerke, Windparks, Wasserkraft und Solarenergie. Biomasse-Heizkraftwerke entstehen dort, wo neben elektrischer Energie auch Wärme oder Prozessdampf benötigt wird. Das beschränkt sich nicht auf die Papierindustrie. Deutschlandweit werden sechs weitere Standorte bedient.
Biomasse-Einsatz in Norddeutschland
Im Brunsbütteler Industriegebiet Süd werden seit 2008 mehrere benachbarte Betriebe vom Biomasseheizkraftwerk der Bioenergie Brunsbüttel Contracting GmbH (BEBC) mit Prozessdampf versorgt. Übers Jahr werden rund 39 000 MWh sauber erzeugter Strom ins Netz eingespeist. Die Dampfproduktion beträgt bis zu 130.000 Tonnen jährlich. Gesellschafter sind die Hamburger Energiewerke GmbH und KRE. Der Biomasseeinsatz liegt bei 105.000 Tonnen pro Jahr. Verbrannt werden in erster Linie holzhaltige Reststoffe aus der Landschaftspflege. Die Stoffe müssen naturbelassen sein. Eine Zerkleinerung und Absiebung ist erforderlich.
Altholz-Verwertung
Am Standort Kehl versorgen die Biomassenheizkraftwerke der Bio-Energie Baden (BEB) die Papiermaschinen von Koehler Paper mit Prozessdampf. Strom wird sowohl ins Netz eingespeist als auch direkt am Standort der Papierfabrik genutzt. Einziger Gesellschafter ist KRE.
Block 1 ist 2002 in Betrieb gegangen und erzeugt jährlich rund 60-000 MWh Strom und 340.000 Tonnen Dampf, Befeuerung mit 110.000 Tonnen Altholz pro Jahr.
Block 2 ist seit 2011 am Netz und erzeugt jährlich 20.000 MWh Strom und 160.000 Tonnen Dampf, Befeuerung mit 40.000 Tonnen Altholz pro Jahr. Es wird geschreddertes Altholz (nicht mit Holzschutzmitteln belastetes Bauholz, Holzabfälle aus der Industrie, Holz von Altmöbeln) von maximal 20 Zentimetern Länge angenommen.
Reste aus der Landschaftspflege
Gocher Bioenergie (GBE) –seit 2012 speist das Biomasseheizkraftwerk 43.800 MWh pro Jahr ins Stromnetz. Gleichzeitig wird ein Lebensmittelgroßbetrieb mit bis zu 100.000 Tonnen Prozessdampf versorgt. Damit werden 100.000 Tonnen frische Kartoffeln zu Granulat, Flocken und anderen Trockenprodukten verarbeitet. Als Co-Gesellschafter tritt neben KRE die Biomassefeuerung Goch GmbH auf. Übers Jahr kommen 90.000 Tonnen holzhaltige Biomasse aus der Landschaftspflege zur Verbrennung.
Gartenbau hängt mit dran
Am Standort Wiesmoor hat das Biomasseheizkraftwerk der Wiesmoorer Bioenergie (WBE) 2012 seinen Betrieb aufgenommen. 17.500 MWh werden pro Jahr ins Netz eingespeist. Über ein Nahwärmenetz nehmen mehrere Gartenbaubetriebe 18.000 bis 24.000 MWh Wärme ab. Einzelgesellschafter ist KRE. Verbrannt werden 40.000 Tonnen holzhaltige Biomasse aus der Landschaftspflege.
Strom aus Biomasse
2014 ging das mit naturbelassenem Holz befeuerte Biomasseheizkraftwerk Elsflether Bioenergie (EBE) ans Netz. Die Stromeinspeisung liegt bei 43.800 MWh im Jahr. 50.000 bis 70.000 Tonnen Dampf jährlich werden an einem Industriebetrieb für die Herstellung von Lebensmittelkleinverpackungen gebraucht. Neben KRE tritt die Hamburger Energiewerke GmbH als weiterer Gesellschafter auf. Die Rostfeuerung verlangt nach 90.000 Tonnen Biomasse aus der Landschaftspflege.
Geschreddertes Grüngut
Der Ort Dollbergen gehört zur Einheitsgemeinde Uetze am Südrand der Lüneburger Heide. Dort hat das DBE-Biomasseheizkraftwerk der Dollbergen Bioenergie (DBE) im Juli 2020 seinen Betrieb aufgenommen. Hauptgesellschafter ist KRE, welche zusammen mit der Umwelt Management AG (UmaAG) aus Cuxhaven das Projekt auf die Beine gestellt hat. Die eingespeiste Strommenge liegt bei 69.000 MWh. Dampf treibt die Turbine an. 75.000 Tonnen werden als Prozessdampf ausgekoppelt und von einem Unternehmen zur Wiederaufbereitung von Altöl und Herstellung von Ölen und Schmierstoffen genutzt. Die Anlage verbrennt Grüngut-Schredderabfälle, Grüngut- und Waldrestholzhackschnitzel sowie sonstige Holzabfälle (zum Beispiel Rinde). Der jährliche Bedarf liegt bei 120.000 Tonnen.
Saubere Energie
Durch die externe Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur wird es energieintensiven Unternehmen ermöglicht ihre monetären und personellen Betriebsmittel gezielt auf das Wesentliche zu konzentrieren und wertvolles Kapital dem Wirtschaftskreislauf zu erhalten. Mit fortschreitender Dekarbonisierung wird dieses Angebot am Markt gerne angenommen. KRE hingegen sammelt wertvolle Erfahrungen ökonomischer und technischer Art, um einerseits die rasch wachsende Nachfrage an sauberer Energie zu bedienen und andererseits die Umstellung auf nachwachsende Brennstoffe an den Papierstandorten voranzubringen.
Holz statt Braunkohle
Neue Wege sind die Techniker von KRE am Koehler Paper Standort Greiz gegangen. Greiz steht für Premium-Recyclingpapiere aus 100 Prozent Sekundärfaserstoffen. Bei der Erneuerung des bisherigen Braunkohlestaub-Heizkraftwerks entschied man sich für Holzfeinfraktion, einem Brennstoff aus dem Biomassensortiment, mit dem man bisher noch keine Erfahrung hatte. Holzfeinfraktion fällt in der Holzindustrie beziehungsweise bei der Aufbereitung von Holzhackschnitzel für die stoffliche Verwertung als Nebenprodukt an. Der Jahresbedarf liegt bei 20.000 Tonnen.
Aus der Region
Für die Umstellung des Kraftwerkbetriebs von Steinkohle auf Hackschnitzel, Grünschnitt und Sägerestholz im Stammwerk Oberkirch (Schwarzwald) sind schon 2018 erste Planungen angelaufen. Es waren aufwändige technische Anpassungen notwendig. Die nachwachsenden Brennstoffe werden regional bezogen. Hier kommt im Gegensatz zu den anderen Biomassen-Heizkraftwerken auch Waldrestholz aus der waldreichen Ortenau zum Einsatz. Die Umstellung wird gegen Ende des Jahres 2024 abgeschlossen sein.
Joint-Venture
Um die Brennstoffversorgung der existierenden und geplanten Biomassekraftwerke langfristig sicherzustellen hat KRE zum Juli 2021 eine 60 Prozent Mehrheit an der Zollikofer-Gruppe übernommen. Zollikofer ist ein internationales Handels- und Logistikunternehmen für Wald-, Energie-, Altholz und Sägenebenprodukte. Neben dem Hauptsitz in Bad Wurzach ist man an sieben weiteren deutschen Standorten präsent. Mit dem Joint Venture bündeln beide Unternehmen ihre Biomassen- und Kraftwerkskompetenz. Die Zollikofer-Gruppe bietet sämtliche Dienstleistungen in der Logistik und im Handel von Wald-, Energie und Altholz an. Auch der Betrieb von kleinen Heizwerken im regionalen Umfeld gehört zum Geschäftsumfang der Zollikofer-Gruppe. Zollikofer unterhält Aufbereitungsanlagen für sämtliche Biomassen. Sämtliche Aufbereitungsanlagen und das Stoffstrommanagement innerhalb der Koehler-Gruppe ist unter dem Dach von Zollikofer gebündelt.





