Wegen der anstehenden großen Neuorganisation der Pfarreien und Seelsorgeeinheiten in der Erzdiözese Freiburg sowie deren strukturellen und demographischen Veränderungen wird auch das Pfarrhaus der ehemaligen Pfarrei St. Gallus nicht mehr benötigt. Erschwert wird die Entscheidung über eine mögliche Nachnutzung wegen der »besonderen Historie« des Gebäudes.
Über Jahrzehnte stand das Pfarrhaus für den Missbrauch in der Gemeinde Oberharmersbach (siehe Infokasten). Betroffene haben sich im »Arbeitskreis Pfarrhaus« daher für eine eigene Variante entschieden. Wegen der exponierten Lage dieses Hauses an markanter Stelle in der Ortsmitte sei bei vielen stets die Erinnerung an diese schreckliche Zeit präsent. Ihre radikale Forderung: Abriss dieses Schandflecks für die Gemeinde.
Erzbischof Stephan Burger hat für seine Diözese ein eigenes Konzept vorgeschlagen und die Entscheidung darüber, auch über andere Nutzungsmöglichkeiten, den Gremien der Seelsorgeeinheit vor Ort überlassen. In einem ersten gemeinsamen Gespräch mit dem Oberharmersbacher Gemeindeteam und den Mitgliedern des »Arbeitskreises Pfarrhaus« standen Varianten zur Debatte.
Eine gemeinsame Lösung finden
Pfarrer Bonaventura Gerner als Leiter der Seelsorgeeinheit Zell a. H, und der Vorsitzende des Pfarrgemeinderats Dr. Ansgar Horsthemke stellten im Oberharmersbacher Pfarrzentrum die Freiburger Option vor. »Wir wollen eine gemeinsame Lösung finden«, gab sich Pfarrer Gerner gesprächsoffen. Alle möglichen Vorschläge sollen hier auf den Tisch. »Die künftige Nutzung des Gebäudes soll zum einen wirtschaftlich tragfähig sein, zum anderen der besonderen Historie des Hauses gerecht werden«, ergänzte Horsthemke. Man wolle sich der Verantwortung nicht entziehen.
Eine der früheren Überlegungen, die politische Gemeinde solle das Haus übernehmen, um hier Räumlichkeiten für Vereine zu schaffen, wurde nicht zuletzt aus Kostengründen und wegen des dafür ungünstigen Gebäudezuschnitts nicht weiter verfolgt. Bürgermeister Richard Weith sieht aber nach wie vor die Diözese wegen der Oberharmersbacher Missbrauchsfälle in der Verantwortung.
»Möglich wäre die zentrale Verwaltung, der wie auch immer künftig gebildeten Seelsorgeeinheit, hier unterzubringen«, nannte er seinen Vorschlag, den er mündlich und schriftlich dem Erzbischof unterbreitet hatte. Dies entspräche einer Aufwertung und Belebung des Areals um Pfarrhaus und Pfarrzentrum. Auch in dieser Form könne man der besonderen Verantwortung dieses Ortes gerecht werden. Eine derartige Nutzung sei aber, so war der Tenor aus dem Ordinariat, eher unwahrscheinlich.
Als Wohnhaus nicht zumutbar
Freiburg schlägt aktuell vor, das Gebäude beispielsweise für Sozialwohnungen umzubauen. Die Kosten hierfür würden zu Lasten der Diözese gehen. Dagegen gab es erhebliche Bedenken. Es sei, so der Einwand, keiner Familie mit Kindern zuzumuten, in einem Haus zu leben, wo jahrzehntelang Kinder missbraucht wurden, ganz gleich wie das Haus auch immer umgestaltet würde.
Stimmen aus dem »Arbeitskreis Pfarrhaus« beharrten daher auf ihrer Forderung. »Die einzig sinnvolle Lösung aus unserer Sicht ist ein Abriss des Gebäudes. Denkbar wäre möglicherweise als deutliches Zeichen die Errichtung eines Mahnmals, nicht nur für die Opfer in Oberharmersbach, sondern für alle Missbrauchsopfer der Kirche deutschlandweit«, formulierten Raphael Hildebrandt und Gerhard Maier. Das Haus sei des Teufels.
Mitglieder des Gemeindeteams führten aus, dass bereits in den letzten Jahren viel Geld, Eigenleistung und Ideen im Pfarrhaus umgesetzt worden seien, um im gegebenen Rahmen eine »Neunutzung« zu ermöglichen.
Angesprochen wurden der Ein- bzw. Umbau einer Wohnung, die bei vielen Nachfragen vermietet wurde, das Kunstprojekt im Treppenhaus, oder die Mitgründung von STARK e.V. Weiterhin wurde erwähnt, dass es durchaus auch andere Stimmen zum Pfarrhaus und dessen Nutzung gäbe. Es soll daher ein Prozess gestartet werden, in dessen Verlauf alle Stimmen und Gruppierungen gehört werden sollten.
Denkmalschutz erschwert Abriss
Von Seiten der Seelsorgeeinheit wurde ergänzt, dass das Haus unter Denkmalschutz stehe und damit die »Abrissvariante« deutlich erschwert bis unmöglich erscheine. Pikant ist dieser Umstand aber aus der Sicht des »Arbeitskreises Pfarrhaus« deswegen, weil diese Einschränkung erst seit Juli 2019 besteht und 97 Jahre nach der Fertigstellung des Pfarrhauses auf den Weg gebracht wurde, just zu einem Zeitpunkt, als erstmals die Forderung eines Abbruchs in dem Meinungsbildungsprozess mit Nachdruck verfolgt wurde. Wie der Denkmalschutz den Umbau des Hauses, innen wie außen, einschränkt, ist aktuell eine offene Frage.
Von einer Einigung war man in diesem ersten gemeinsamen Gespräch weit entfernt. »Egal, wie wir uns immer entscheiden, Freiburg wird diesen Weg mitgehen«, wiesen Pfarrer Gerner und Pfarrgemeinderatsvorsitzender Horsthemke den weiteren Weg für klärende Gespräche. Dankbar aufgenommen wurde der Vorschlag, einen Mediator einzuschalten, um die weit auseinander liegenden Vorschläge einer tragbaren Lösung zuzuführen.
Das Oberharmersbacher Pfarrhaus
Wegen der zu Beginn der 1920er Jahren großen Wohnungsnot ließ die politische Gemeinde ein neues Pfarrhaus errichten, im Tausch gegen Grundstücke in der Ortsmitte (bestehendes Pfarrhaus und die gegenüberliegende Pfarrscheuer). 1922 wurde das Pfarrhaus fertiggestellt. Hier wohnten der Pfarrer, die Haushälterin und von Zeit zu Zeit auch Vikare. 1967 übernahm Pfarrer Franz Bühler die Pfarrei
St. Gallus von seinem Vorgänger Pfarrer Franz Forner. Von diesem Zeitpunkt bis zur Versetzung Bühlers im Juni 1991 erfuhr das Haus, an dessen Vorderseite weithin sichtbar ein Bild des »Guten Hirten« jedem Bewohner und Gast die Bestimmung des Hauses verkündet, seine »besondere Historie«. Über nahezu ein Vierteljahrhundert hat sich der damalige Pfarrer an minderjährigen Jungen immer wieder vergangen. Dutzende von Betroffenen sind zwischenzeitlich bekannt. Auch andere Orte sind mit diesen Übergriffen belastet, aber das Pfarrhaus war und blieb eben »Dreh- und Angelpunkt« dieser Verbrechen schlechthin. Seit 2019 steht das Gebäude unter Denkmalschutz.





