Noch sind 43 Prozent der 40.000 Bahnkilometer in Deutschland nicht elektrifiziert. Auch Baden-Württemberg ist von diesem Problem betroffen. Auf 1.491 Kilometern fährt man im »Ländle« mangels Alternative mit Dieselantrieb. Eine Elektrifizierung gilt dort als unwirtschaftlich, wo es an der Auslastung fehlt.
Dabei wäre genau diese so wichtig, hat sich doch die
Politik in Deutschland zum Ziel gesetzt, die Kohlendioxid-Emissionen bis 2020 um bis zu 40 Prozent des Ausstoßes von 1990 zu reduzieren. Ferner sollen bei der Stromversorgung bis 2050 mindestens 80 Prozent erneuerbare Energien zum Einsatz kommen.
Verkehrsminister Winfried Hermann dazu: »Emissionsfreie Züge mit Brennstoffzellen- oder Batterieantrieb können eine umweltfreundliche Alternative zu den vorhandenen Dieseltriebzügen im Schienenverkehr sein.« Diese Überzeugung findet Niederschlag in den Bedingungen für die 2017 beginnende Ausschreibung der Leistungen im Schienenpersonennahverkehr für das Netz 8 (Ortenau). Gefordert werden lokal emissionsfreie Antriebe.
Modellregion Ortenau
Auf etwa 90 Kilometern Schiene, das ist die Hälfte des beworbenen Netzes, existiert keine Oberleitung. Es handelt sich um Nebenstrecken, welche vom Netz der Deutschen Bahn (DB) abzweigen und am Ende eines Schwarzwaldtales enden. Nach Expertenmeinung wäre eine Elektrifizierung viermal so teuer wie der Einsatz wirtschaftlicher, emissionsfreier Antriebe. Zum Netz 8 gehören die
Verbindungen Offenburg – Straßburg, Offenburg – Freudenstadt bzw. Hornberg, Achern – Ottenhöfen, Offenburg – Bad-Griesbach sowie Biberach – Oberharmersbach. Dort verkehren derzeit die Züge der Südwestdeutschen Verkehrs-Aktiengesellschaft (SWEG) und deren Tochter Ortenau-S-Bahn GmbH (OSB). Ein seit 2014 geltender Verkehrsvertrag zwischen dem Land und der SWEG läuft 2021 aus. In einem Schreiben an den Landrat des Ortenaukreises Frank Scherer und die Oberbürgermeisterin der Stadt Offenburg Edith Schreiner spricht Verkehrsminister Hermann von »nahezu idealen Voraussetzungen für den Einsatz elektrisch angetriebener Züge mit Brennstoffzellen oder Batterien im Ortenaukreis.«
Kraftwerk an Bord
Derzeit existieren eine Hand voll Lösungsansätze, welche den Betriebsbedingungen im beworbenen Schienennetz gerecht werden könnten. Darunter ist die Entwicklung der Brennstoffzellentechnik am weitesten fortgeschritten. Im September 2016 hat der deutsch-französische Bahntechnikhersteller Alstom bei der Transportmesse »Innotrans« in Berlin den »Coradia iLint« vorgestellt. Dabei handelt es sich um einen Elektrotriebzug mit Brennstoffzelle und Pufferspeicher (Batterie) an Bord. Beim Antriebsstrang vom Motor zur Antriebsachse kann auf bewährte Technik zurückgegriffen werden. Neu sind Brennstoffzellen und ein Wasserstofftanksystem, die auf den Dachflächen positioniert sind. Die schweren Batterien sind unterflurig angeordnet. In der Brennstoffzelle werden mitgeführter Wasserstoff und Sauerstoff aus der Umgebungsluft zusammengeführt. Es entsteht Wasser. Dabei wird Elektrizität und Wärme produziert. Wasserstoff ist ein farb- und geruchloses, dabei jedoch hoch entzündliches Gas. Es ist nicht giftig. Bei größeren Leckagen wird Sauerstoff verdrängt, was zur Erstickungsgefahr führen kann. Alstoms »Coradia«-Serie ist im Eisenbahnalltag nicht unbekannt. In den letzten 16 Jahren wurden davon weltweit mehr als 2.400 Züge verkauft. Neu ist lediglich die Brennstoffzellenausführung, deren Entwicklung vom Bund mit 7,6 Millionen Euro gefördert wurde. Der »iLint« soll in Salzgitter produziert werden. Augenblicklich steht der erste Brennstoffzellen-Zug bei Alstom in Frankreich auf dem Prüfstand. Die anschließende Erprobung auf der Schiene erfolgt auf einer Teststrecke in Tschechien. Mit Spannung erwartet man die Zulassung des Zuges für den Personenverkehr durch das Eisenbahnbundesamt. Ab Ende 2017 soll im Rahmen eines Pilotprojektes die Integration des Hydrails im Alltagsbetrieb erprobt werden. Dafür vorgesehen ist die Strecke Cuxhaven – Bremervörde – Buxtehude.
Pilotprojekte gibt es schon in vier Bundesländern
Aktuell haben vier Bundesländer Brennstoffzellen-Pilotprojekte angemeldet. Dazu zählen Niedersachsen, wo der »iLint« produziert werden soll. An zweiter Stelle rangiert Baden-Württemberg mit der Region Ortenau auf der Strecke Freudenstadt – Hausach – Offenburg – Appenweier – Bad Griesbach. Dieser Abschnitt ist teilelektrifiziert. Eine weitere Elektrifizierung ist nicht geplant. Erfahrungen hinsichtlich Fahrdynamik und Betriebsprogramm sollen Entscheidungshilfen für eine großflächige Einführung liefern. Wegen der hohen Tagesfahrleistung von bis zu 700 km müssen die neuen Züge täglich betankt werden.
Die derzeit aktuellen Dieseltriebwagen vom Typ »Regioshuttle« haben eine größere Reichweite und müssen nur alle zwei Tage an den Schlauch. Auf dem Offenburger Bahngelände soll eine Wasserstofftankstelle eingerichtet werden. Spätere Synergien verspricht man sich von der räumlichen Nähe des
zentralen Omnibusbahnhofes. Weitere Potenziale für die Hydrail-Technik sieht man bei der Hermann-Hesse-Bahn im Raum Calw, deren Reaktivierung erst deutlich nach 2020 erfolgen wird. Auch Hessen und Nordrhein-Westfalen bekunden ernsthaftes Interesse. Alle Länder haben Absichtserklärungen für je zehn Triebzüge mit Alstom unterzeichnet.
Quellen für den Wasserstoff
Bei der Einführung der Brennstoffzellentechnik werden weder ökonomisch noch ökologisch vorteilhafte Bedingungen vorliegen. Viel wichtiger ist es, die vor dem Durchbruch stehende Technik in die Fläche zu bringen und ihre Optimierung sukzessive voranzutreiben. Nach Auskunft der Linde AG werden fossile Rohstoffe bei der Herstellung von Wasserstoff auf absehbare Zeit die wichtigste Quelle bleiben. Die derzeit wirtschaftlichste Methode ist die Dampfreformierung. Wasserdampf und Erdgas werden bei Temperaturen von etwa 800 Grad Celsius in Wasserstoff und Kohlendioxid umgesetzt. Ähnlich verläuft die Herstellung aus Erdöl und Kohle. Wasserstoff entsteht auch als Nebenprodukt bei der Herstellung von Gasen. Dieses »Abfallgas« ist jedoch noch mit anderen Gasen versetzt. Vor dem Einsatz in der Brennstoffzelle muss es einer Reinigung unterzogen werden. Schließlich kann Wasserstoff auch vor Ort hergestellt werden. Vereinfacht dargestellt sind für die Onsite-Elektrolyse nur ein Stromanschluss und eine Wasserleitung notwendig. Stromkosten und die Anschaffung eines Elektrolyseurs verteuern diese Methode. Wirtschaftlich und ökologisch interessant wird die Elektrolyse bei einem Stromüberschuss aus erneuerbaren Energien sein.
Man darf gespannt sein
Bei der Entwicklung des »Coradia iLint« stand eine grundsätzliche Neuorientierung des oberleitungsfreien Bahnverkehrs im Vordergrund. Im Fokus stand neben einem lokal emissionsfreien Antrieb die Reduktion der Lärm-Imissionen, denn seit 2001 wurden die zulässigen Geräuschpegel viermal reduziert. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 140 km/h. Mit 327 Plätzen kann der Hydrail locker seinen Job als Zubringer zu den Umsteigebahnhöfen des Fernverkehrs erledigen, ohne deren Zeitplan zu gefährden. Vor dem Hintergrund verzögerter Verkehrsprojekte wie »Stuttgart 21« und dem »Hauptstadtflughafen BER« ist es schwierig Aussagen über die Markteinführung neuer Techniken im Bahnverkehr zu machen, zumal beim Hydrail eine Zulassung für den Personenverkehr durch das Eisenbahnbundesamt noch nicht erfolgt ist. Der Brennstoffzellenzug dürfte deshalb wohl nicht vor 2018 im Kinzigtal zu sehen sein.