Ovationen für die Miliz- und Trachtenkapelle und die Gastdirigenten Mallory Thompson und Shane Kealy.
Welcher Dirigent wünschte sich nicht ein Ensemble, mit dem er Konzepte und Visionen, musikalische Ideen und Klangvorstellungen verwirklichen könnte? Dirigent Rüdiger Müller hat sich eine solche Truppe aufgebaut: die Miliz- und Trachtenkapelle Oberharmersbach, die das Publikum beim Gala-Konzert am Samstagabend zu
Beifallsstürmen hinriss.
Außer Orchesterleiter Müller standen mit Mallory Thompson und Shane Kealy zwei Gastdirigenten auf der Bühne der Reichstalhalle, was den Facettenreichtum der Bläserarrangements voll zur Geltung brachte.
Vor Konzertbeginn begrüßte Vorstandsmitglied Bastian Boschert die Gäste in der bis auf den letzten Platz besetzten Festhalle, namentlich Bürgermeister Richard Weith, Marktchef Jürgen Schmider von der Sparkasse Kinzigtal sowie Stefan Polap, Präsident des Blasmusikverbands Kinzigtal und Ehrenpräsident Gerhard Roth.
Einen besonderen Willkommensgruß richtete Boschert auf Englisch an Dr. Mallory Thompson und ihren Ehemann, den Komponisten Jay Kennedy sowie an Thompsons ehemaligen Studenten und jetzigen Musikpädagogen Shane Kealy, der in den Niederlanden lebt und arbeitet.
Der Auftakt des Gala-Abends verriet bereits, wo die musikalische Reise hingehen sollte: „The Seeker“ des zeitgenössischen amerikanischen Komponisten David Maslanka eröffnete die Kapelle mit einem subtilen Holzbläserintro, gleichsam ein Herantasten und Suchen, bevor ein gewaltiges Fortissimo des Orchesters überraschte. Man kann es als ein Abbild des Suchenden sehen, der sich auf seinem Weg in ein Abenteuer stürzt.
Gedämpfte Trompetentöne, Flöten- und hingetupfte E-Piano-Klänge und fein ziseliertes Schlagwerk erzeugten ein Gänsehaut-Pianissimo. Offenkundig hatte Dirigent Müller mit den Musikerinnen und Musikern intensiv an Klang und Dynamik gearbeitet, um die Spannungsbögen perfekt zu gestalten. Ein intensives Auf und Ab, präzise und transparent bis zum letzten Ton. Reicher Beifall für das siebzigköpfige Ensemble und seinen Leiter.
Das Ensemble wuchs über sich hinaus
Während Rüdiger Müller den Dirigentenstab am Mallory Thompson weiterreichte, stellte Jay Kennedy seine Komposition „Catapult“ vor – teils auf Deutsch, teils auf Englisch (Flötistin Alisa Jilg, die auch das Programm moderierte, übersetzte für die Gäste).
Sein Werk stehe für den Neuanfang, sagte Kennedy und solle die Musikerinnen und Musiker aus der Lethargie nach der erzwungenen Corona-Pause „heraus katapultieren“ und neu motivieren. „Catapult“ sei auch eine Hommage an die „Cats“ – die „Wildcat Marching Band“ seiner Gattin an der Northwestern University Chicago.
Die Komposition beruht auf dem Joseph Haydn zugeschriebenen „Chorale St. Antoni“, das Johannes Brahms viele Jahre später für ein Variationswerk adaptiert hat. War allein schon die Erstaufführung des Stückes etwas Besonderes, so wuchs das Ensemble unter Mallory Thompson Dirigat weit über sich hinaus. Vielfalt der Farben und klangliche Differenzierung machten die teilweise sperrige Musik zu einem sinnlichen Erlebnis.
Mallory Thompson organisierte die Partitur mit klarer Zeichengebung und sorgte für größtmögliche Transparenz. „Catapult“ zeigte zudem, wo einst die Wiege des Jazz stand und dass der Schöpfer des Werks von Hause aus Schlagzeuger ist: Breitgefächerte Percussion, Handclaps aller Instrumentalisten rhythmisierten die melodischen Passagen kraftvoll.
Auf Augenhöhe mit dem Orchester
Percy A. Graingers „Irish Tune from County Derry“ ist auch als Folk- und Popsong „Danny Boy“ bekannt geworden. Das melodiöse, eingängige Stück gestalteten die Musikerinnen und Musiker expressiv als noble Kantilene. Auffallend dabei, wie die Dirigentin das Leise beinahe zelebrierte.
Das dramatische Potential, das in Howard Hansons „Chorale and Alleluia“ steckt, schöpften Thompson und das Orchester glänzend aus. Das traditionelle Kirchenlied seiner
Heimat, getragen und eher rezitativ, hat der amerikanische Komponist mit einem eher
gospelhaften rhythmischen „Preiset Gott“ zu einer feierlichen Hymne vereint, die
von der Miliz- und Trachtenkapelle mit präzisen Tempiwechseln und dynamischer Brillanz geboten wurde. Großer Applaus und „Bravo“-Rufe in der Reichstalhalle.
Nach der Pause in dem über zweistündigen Konzert nahmen Einsatz und Spielfreude der Musikerinnen und Musiker nochmals an Fahrt auf. Erstaunlich, wie Shane Kealy, der als „Dritter im Bunde“ den Platz am Dirigentenpult eingenommen hatte, das Ensemble souverän durch die Partitur von „Halycon Hearts“ aus der Feder des blutjungen US-Komponisten Katahj Copley leitete.
Wie Rüdiger Müller hat Shane Kealy bei Dr. Mallory studiert und man spürte unmittelbar, dass er mit dem Orchester auf Augenhöhe agiert. Die Interpretation des stimmungsvollen „Halycon Hearts“ überzeugte ob des ansprechenden Klangs und der klaren Phrasierung.
Eine ins Transzendente weisende Melodie
Die Anfangsbuchstaben von „Ever be the hope“ entsprächen genau dem „middle name“ seiner Gattin (Beth), erklärte Jay Kennedy dem Publikum, als er die zweite Premiere des Abends ankündigte. Hoffnung, Zuversicht wolle er den Menschen mit seiner Musik in dieser krisengeschüttelten Welt geben, so der Komponist. Die ins Transzendente weisende Melancholie rückt das Werk in die Nähe des Feinsinnig-Grüblerischen der Romantiker und begeisterte die Hörer in der Halle mit strahlendem Bläserklang. Bestens aufeinander abgestimmte Register, die auch in den Höhen keine Schärfen zulassen und ein exaktes Timing.
Die dreisätzige „American Hymnsong Suite“ von Dwayne S. Milburn hielt die Balance zwischen erdverbunden und entrückt, zwischen Mühsal und Lebensfreude und der Hoffnung auf das gelobte Land („When we all get to heaven“). Eine vielschichtige Komposition mit pulsierenden Marschrhythmen, Anklänge an die Gospel- und Swing-Musik, inklusive Klarinetten- und Saxofon–Wohlklang, geschmeidige Trompetenlinien und Snare Drum-Beats, die entfernt an den „Little Drummer Boy“ erinnern. Ein mitreißendes Meisterstück.
Eine Interpretation von höchster sinfonischer Güte„Hands across the sea“ passe als Schlusstitel der Konzertgala doch ganz gut, meinte Alisa Jilg, beschreibe der „Handschlag über das Meer nach Europa und in den Schwarzwald“ doch genau das, was die Miliz- und Trachtenkapelle im musikalischen Zusammenwirken mit Dr. Thompson vermitteln wolle.
Auch der Komponist John Philip Sousa stellte seine Musik seinerzeit in den Dienst der Völkerverständigung und widmete das 1899 entstandene „Hands across the sea“ allen „Freunden Amerikas“. Der Titel gehört heutzutage zum Standardrepertoire eines jeden
US-Blasorchesters und ist ein echter „Rausschmeißer“. Für die Miliz-und Trachtenkapelle war’s ein Paradestück, auch in der Interaktion von Dirigentin und Orchester. Obendrein eine Interpretation von höchster sinfonischer Güte. Ovationen und Beifallsbekundungen, bis eine Zugabe gewährt wurde: „Shepherds Hey“ von P.A. Grainger.
Bastian Boschert dankte den Sponsoren des Galakonzerts und den vielen Helfern in allen Bereichen, besonders bei der Bewirtung der Besucher. Das „Dirigenten-Trio“ und Komponist Jay Kennedy erhielten Präsente. Die sympathische Mallory Thompson hielt eine sehr persönliche Dankesrede auf Deutsch und wurde unter tosendem Applaus verabschiedet. Es dürfte nicht der letzte „Handschlag über’s Meer“ gewesen sein.