Es ist gerade mal halb acht. Der Peterlistag ist noch nicht richtig angebrochen. Die Nacht weicht noch dem Morgengrau. Der Schulbus fährt mit den älteren Schülern durchs Untertal davon. In der Kühle sammelen sich drei Jungen und neun Mädchen vor der Imkerschule: die Oberentersbacher Peterschüler.



Ungefähr vor vierzig Jahren, als die Schulen zusammengelegt wurden und alles vereinheitlicht werden sollte, haben sich die Oberentersbacher dafür stark gemacht, dass ihre Schüler am Peterlistag nicht erst um zehn Uhr vom Unterricht befreit werden. Denn diese dreieinhalb Stunden mehr Zeit, die brauchen sie.
Am Peterlistag gehen die Oberentersbacher Kinder zu Fuß von Hof zu Hof. Zwischen 35 und 40 Häuser und Höfe besuchen sie. Angeführt werden sie immer von den Ältesten, den Säckelmeistern. Dieses Jahr sind das Lisa Proß und Leon Pross.
Auf was freut ihr euch am meistern? »Auf’s Geld natürlich. Das ist ja die Hauptsache, warum wir laufen«, sagt der junge Pross verschmitzt auf die wohl doch etwas dümmliche Frage der Berichterstatterin. Einen Tag nicht zur Schule müssen, ist herrlich und dann noch das Taschengeld etwas aufbessern, welchen Grund braucht es mehr eine ganztägige Wanderung zu machen – wenn es überhaupt einen braucht.
Doch in vielen kleinen Dingen erkennt der Beobachter, dass es an Ritualen, Bräuchen und Tradition nicht mangelt und die Generationenschule wie ein Schweizer Uhrwerk funktioniert. Der älteste, Leon Pross, der Säckelmeister trägt einen grauen Filzhut, daran hat er ein kleines Blumensträußchen befestigt. Die Jungen haben jeder ein Glöckchen dabei. Warum nur die Jungen? »Das sagt die Tradition.«
»Stellt euch mal auf«, weisen die beiden Säckelmeister an und helfen beim ersten Mal den Jüngsten sich zu sortieren. Nachdem jede und jeder seinen Platz im Spalier kennt und die Generalprobe geschafft ist, kann es losgehen.
Säckelmeister Leon Pross zieht an der langen Klingelschnurr der Imkerschule. Die Tür öffnet sich und die Peterschüler beginnen ihr Sprüchlein aufzusagen. Dort freuen sich am Mittwoch früh Godeliva Steinkönig und Tochter Levina über den Besuch der Peterschüler.
Nur hier bei der Imkerschule, die einst das Schulhaus war und darüber die Lehrerwohnung lag, stellen die Schüler sich noch heute vor der Tür auf. Sonst treten sie ein in die Diele oder in den Wohnbereich, bilden das Spalier und tragen das Sprüchlein vor. Darin grüßen die Peterschüler die Bewohner, stellen sich selbst vor, berichten vom Land, den Jahreszeiten und ihren Aufgaben – wie es ihnen ihre Vorgänger beibrachten. Ein Spruch, den wohl jeder Oberentersbacher auch nach vielen Jahren, ohne lang nachdenken zu müssen, vortragen kann.
Und dann gibt es den ersehnten Schein oder ein paar Münzen für die Schüler. Die Säckelmeister stecken sie in den mitgebrachten Beutel. Die Nachfolger, die in kommenden Jahren die Peterschüler führen werden, notieren wo, von wem was gegeben wurde. Veronika Schwendenmann und Louis Walter waren in diesem Jahr die »Aufschreiber«.
»Der Peterlistag ist bei den Oberentersbachern im Kalender dick markiert. Jedes Haus und jeder Hof stellt sicher, dass auch jemand zuhause ist, um die Peterschüler herein zu bitten«, weiß Godeliva Steinkönig. Unterwegs kümmern sich die Höfe um die Peterschüler. Mittagspause machen die zwölf auf dem »Gastehof«. Familie Schwendenmann versorgt sie dort mit Würstchen und Weck. Beim Riehle Hof gibt’s etwas später einen Snack.
Also ziehen sie los, durchs Wäldchen zum Langgraben der oberhalb der Imkerschule liegt. Über die Wiesen der Sommerseiten geht es danach zum nächsten Hof ein Stück weiter talauswärts.
Bis sie alle Höfe auf der Sommer- und Winterseite besucht haben, wird später Nachmittag sein. So gegen 16 Uhr werden sie auf dem Eckerhof ankommen, schätzen die zwei Säckelmeister. »Vielleicht schaffen wir es ja auch schneller«, eifern sie. Denn Rekordzeiten, die einst von Gruppen in Vorjahren geschafft wurden spornen mächtig an. Auf den Kuchen und die abschließende Stärkung freuen sie sich schon jetzt, an diesem kühlen Morgen, an dem der Weg noch vor ihnen liegt.