Die kath. Kirchengemeinde und der örtliche Historische Verein nahmen die Weihe neuer Glocken vor 50 Jahren zum Anlass, den renommierten Glockenspezialisten Kurt Kramer zu einem Vortrag über die allgemeine Geschichte des einzigartigen Klanginstruments einzuladen und in einer Ausstellung den Besuchern die spezielle Geschichte der Biberacher Glocken nahezubringen. Dazu hatten sich am Samstagabend rd. 100 Interessenten im Rietsche-Saal eingefunden.
In seiner Begrüßung bedachte Pfarrer Bonaventura Gerner das besondere Anliegen eines kirchlichen Geläutes. Das Zusammenklingen der verschiedenen Glocken wolle beim Hörer ein harmonisches Gefühl wecken. Mit seinem weithin hörbaren Klang möchte das Spiel der Glocken Himmel und Erde verbinden. Der Klang der Glocken begleite uns von der Wiege bis zur Bahre. Glocken seien ein Symbol der christlich-abendländischen Kultur. Leider würden sich heute an diesen Klängen die Geister scheiden. Freuen sich die einen an der »Erhabenheit der Stimmung«, empfinden andere das Geläut als »unliebsame Ruhestörung«.
Bei der Glockenweihe vor 50 Jahren hatte ein Amateur einen Film gedreht. Karl Hoferer projektierte an diesem Abend daraus einige Ausschnitte. Sie lenkten den Blick nicht nur auf die hochglänzenden Glocken und Biberachs Pfarrer Biemer, der die Anschaffung des neuen Geläuts betrieben hatte. Mindestens genauso neugierig machte der Anblick auch die damalige Jugend, die jetzt als um ein halbes Jahrhundert gealtert unter den Besuchern saß.
»Klänge der Unendlichkeit« hatte Kurt Kramer seinen Vortrag über die Kultur- und Religionsgeschichte der Glocken überschrieben. Und er holte dabei weit aus, begann bei der Glocken- und Glöckchenliebe chinesischer Kaiser, wie z. B. Quin Shi Hangdui um das Jahr 221 v. Chr. Er ließ sich des Morgens vom feinen Glöckchenklang wecken. Seine Regierungsmethoden waren indessen weniger fein. Während seiner 12-jährigen Herrschaft ordnete er eine riesige Bücherverbrennung an. Ein Zeichen, dass Ästhetik und Ethik nicht immer zusammenkommen, obwohl sich das Schöne und Gute gegenseitig bestärken sollten.
Die Glocke eroberte das Christentum
Kramer zeigte auf, dass in der jüdischen Religion das Glöckchen zu Ehren kam. Es schmückte die Thorarolle mit den fünf Büchern Mose und der Hohe Priester ließ sein Gewand mit einem Kranz von wohlklingenden Glöcklein säumen. Dass die Christen in ihrer Frömmigkeit die jüdische Tradition aufgriffen, war bei der Suche nach eigenem Profil keine Selbstverständlichkeit. Die ersten Missionare, die den christlichen Glauben in unsere Region brachten, die Heiligen Columban, Gallus und Pirmin hatten an ihrem Wanderstab regelmäßig ein Glöckchen hängen, das den hellen Klang des Glaubens verkündete. Der Referent führte zum Beleg frühe Darstellungen der Bildenden Kunst an.
Dass in der orthodoxen Kirche die Glocken nicht wie hierzulande geläutet, sondern gleich einem Glockenspiel geschlagen werden, machte Kramer an eindrucksvollen Klangbeispielen deutlich. Auch die anglikanische Kirche geht anders mit der Glocke um als die deutsche. Die nacheinander angeschlagenen Glocken ergeben eine heitere Melodie. Doch müsse sich unsere Tradition nicht verstecken. Ausgesprochen »süß« klingen die Glocken auf der Insel Reichenau. Eine Meisterleistung der Glockengießer, welche das günstige Mischungsverhältnis von Kupfer und Zinn ausgetüftelt hatten. Sinniger Weise werde deren Form mit einem Zuckerhut verglichen.
Aber auch die Schwergewichte unter den Glocken haben es dem Referenten angetan, darunter die »Hosanna« im Freiburger Münster, gegossen 1258. Das Relief auf der Glocke zeigt die hl. Maria. An Gewicht übertroffen wird sie vom »Decke Pitter« (Dicke Peter) des Kölner Doms. Diese ist mit sage und schreibe 24 Tonnen die größte schwingende Glocke der Welt. Hinter der heimischen Namensgebung verbirgt sich der hl. Petrus, auf den Jesus seine Gemeinschaft gründen wollte.
Glockenklang in der Diskussion
Eröffnet und geschlossen hat Kramer seinen Vortrag mit Versen aus Friedrich Schillers »Lied von der Glocke«, das in früheren Jahren in der Schule auswendig zu lernen war und bei den älteren Zuhörern noch nachklang: »Fest gemauert in der Erden steht die Form aus Lehm gebrannt…« Schiller hat darin eine beachtliche Beschreibung des Glockengießens poetisch festgehalten. Die Glocke ist für ihn eine ermunternde und mahnende Begleiterin des Menschen an den wichtigen Stationen seines Lebens.
Kramer bedauert, dass das Glockengeläut hierzulande nicht mehr allen Zeitgenossen gefällt. In seinem Vortrag gab er zu bedenken, dass mit der Klangtradition ein gewisses Ethos verbunden ist. Nicht von ungefähr wären die Glocken immer wieder von Kriegsherren in Kanonen umgegossen worden. Kein Verständnis zeigte der Glockenfreund für Überlegungen in höchsten bischöflichen Kreisen, ob das Läuten der Glocken mit Rücksicht auf muslimische Flüchtlinge vermindert werden solle. Schließlich stünden die für Kriegszwecke immer wieder missbrauchten Glocken für ein akzeptables Miteinander: »Friede sei ihr erst Geläute!« forderte der schwäbische Dichter.
Rechtzeitig zur Feier ist auch die kleine Glocke für das Rathaus gegossen worden. Wolfgang Bösinger, Bürgermeister a. D. und Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsvereins stellte das Werk vor und berichtete von dem Wunsch, den Dachreiter des Rathauses wieder wie früher mit einem Glöckchen auszustatten. Die Glockenzier zeige das Gemeindewappen und die Buchstaben »G. B.« (Gemeinde Biberach), wie sie auf alten Grenzsteinen zu sehen sind. Der Historische Verein, der Heimatverein und die Kommune würden sich die Kosten teilen. Pfarrer Gerner kam der Bitte, die Glocke zu segnen, gerne nach. Dies sei Ausdruck der gemeinsamen Werte, die Kirche und Gesellschaft verbinden.
Der Vorsitzende des Historischen Vereins Biberach, Josef Ringwald, gab nach dem Vortrag eine Einführung in die kleine aber feine Ausstellung zur Geschichte der Glocken und der Kirchengebäude des Ortes. Pfarrer Gerner und Erika Rieger vom Team der Pfarrgemeinde dankten dem rührigen Vorsitzenden und seinem fleißigen Team für die Erforschung und gefällige Darstellung. Ringwald versprach kurz und knapp: »Wir machen weiter!«
Für den musikalischen Rahmen sorgte das Saxophon Quartett mit Joachim Bächle, Rudi Fautz, Franz Mäntele und Leonie Müller. Zum Anfang spielte die Gruppe eine melodisch heitere Sinfonia von Johann Christian Bach. Später »kredenzten« die Akteure den temperamentvollen Flamenco El Capéo von Antonio Parera. Und zum Schluss erfreuten sie die Zuhörer mit der unbeschwerten Musik zur legendären Muppet-Show.





