Wenn der Wind durch die Orgel pfeift:

Himmlische Töne aus vielen Röhren

Gerade zu Zeiten von Weihnachten und Jahreswechsel lauscht man gerne den so besonderen Klängen einer Kirchenorgel. Wie aber entstehen diese? »Vom Prinzip her ist die Orgel ein Blasinstrument«, erklärt Orgelbauer Christian Kroll.

Intensiv duftet es nach frischem Holz, sobald man Christian Krolls Arbeitsplatz bei einer der nicht gerade wenigen Orgelbaufirmen im süddeutschen Raum betritt.
Die erstaunlich hohe regionale Dichte dieses sehr alten, doch bundesweit eher selten gewordenen Handwerks lässt sich ganz einfach erklären: Bis Anfang der 50er Jahre war in Freiburg mit der Firma Welte ein großer Orgelbaubetrieb ansässig, der mit Aufkommen der neuen Tonträger innerhalb von nur zwei Jahren in Konkurs ging.

Aus der Not heraus machten sich viele der einstigen Mitarbeiter damals selbstständig – unter ihnen Franz Winterhalter. Dessen ebenso kreativer wie musik- und architekturbegeisterter Sohn Claudius übernahm eine Firma, die letztes Jahr ihr 60-jähriges Jubliäum feierte. Passenderweise direkt neben der Ortskirche.

»Wir sind hier alle gelernte Orgelbauer«, so Christian Kroll, der unter anderem für alles Organisatorische zuständig ist und eine zusätzliche Qualifikation als Schreinermeister besitzt. Denn Holz ist ein unverzichtbares Bau-Element für ein Instrument, das der 51-Jährige als »relativ klein« bezeichnet, wenn es mit Maßen von etwa sechs Metern in der Breite und knapp sechseinhalb Metern in der Höhe aufwartet.

Unglaubliche elf Meter und somit mehr als drei Stockwerke hoch hingegen die von den Abmessungen her größte Orgel, deren Entstehung Christian Kroll in seiner beruflichen Laufbahn begleitet hat, mit entsprechend riesigen Pfeifen. In der als UNO-Weltkulturerbe eingestuften romanischen Basilika in Alpirsbach sind die zu bewundern.

Ein anderes Größenkriterium stellt die Zahl der Register einer Orgel dar. Ein Register, das ist eine Klangreihe. Was bedeutet, dass die zu ihr gehörenden Pfeifen eine bestimmte Klangfarbe haben. Beispielsweise Streichinstrumente imitieren können solche Register. Oder Quer- oder Blockflöten. »Aber es gibt auch typische Orgelregister«, erläutert Christian Kroll – ein mit sage und schreibe 48 Registern diesbezügliches Klangwunder steht in Konstanz. Wobei längst nicht alle Pfeifen einer Orgel von außen zu sehen sind, »viele, viele sind in ihrem Inneren.«

Eine Pfeife pro Ton

Apropos Flöten. Die haben de facto etwas mit einer Orgel gemein: nämlich die Art der Tonerzeugung, erfolgt sie doch in beiden Fällen durch bewegte Luft, die auf eine Kante trifft. »Die bezeichnen wir Orgelbauer als Wind«, erklärt der gebürtige Regensburger. Um alsdann auf den Unterschied zum Blasinstrument einzugehen. Denn während der Trompeter oder Flötist verschiedene Töne an einem einzelnen Instrument generieren kann, »braucht der Organist für jeden Ton eine extra Pfeife.« Dabei ist der Spieltisch »quasi das Zentrum, wo der Organist durch das Drücken der Tasten die einzelnen Töne ansteuern kann.«
Die Pfeifen, aus denen die tiefen Töne kommen – die großen, bis zu 10 Meter langen und entsprechend schweren Pfeifen also – die werden oftmals aus Holz gefertigt. Aus Stabilitätsgründen. Und zwar in eckiger Form. Denn sie rund zu drechseln würde »einen irrsinnigen Aufwand bedeuten«, verdeutlicht Christian Kroll. Und betont, dass die Form keine Auswirkung auf den Klang hat. Allerdings sieht man die großen eckigen (und im übrigen im eigenen Haus gefertigten) Holzpfeifen meistens nicht. Weil sie im Inneren der Orgel versteckt, also nicht an ihrer häufig sehr aufwändig gestalteten Schauseite – dem sogenannten Prospekt – angebracht sind.

Die kleineren Pfeifen wiederum lassen sich einfacher aus Metall fertigen. Aus einer Zinn-Blei-Legierung bestehen sie und werden als Rohlinge von eigens spezialisierten Metallpfeifenbauern bezogen. Christian Kroll betont: »Ein Pfeifenrohling, der muss perfekt sein.« Ein Ton aber kommt erst dann aus ihm heraus, wenn ihn der »hauseigene« Intonateur bearbeitet, der Pfeife ihre Tonhöhe und ihren Klangcharakter verliehen hat. »Dass eine Pfeife wie die andere geht, gleichmäßig, und dann auch noch schön klingt«, weiß der musikalische Fachmann, »das ist nicht so einfach.«

Damit eine Pfeife überhaupt tönen kann, muss von unten – durch ihr Fußloch – der erwähnte Wind in sie hineinströmen. Für den sorgten einstmals »Calcanten«. Als »Windschöpfer« bezeichnet Christian Kroll jene Menschen, die mit ihrem Körpergewicht – beispielsweise durch Darauftreten – Luft in Schöpfbälge drückten. Und zwar möglichst gleichmäßig, damit die Orgel nicht stößig, nicht nach Schluckauf klang.

Früherer Orgelklang nur dank Körperkraft

Wie anstrengend das war, »davon können viele alte Leute, frühere Messner vor allem, heute noch erzählen«, weiß der Orgelbauer. Und erklärt, dass die Schöpfbälge unter einem Reservoir lagen, dass ständig befüllt werden muss, »denn der Organist verbraucht ja den Wind.«
Auch wenn heutzutage elektrische Gebläse zum Einsatz kommen, sind die ursprünglichen Einrichtungen in alten Orgeln oft noch vorhanden. »Man hat sie beim Restaurieren nicht weggebaut«, so Christian Kroll, » und ohne Motor funktionieren sie in der Regel dann auch noch. Aber körperlicher Einsatz, damit eine Orgel zum Klingen kommt, ist heute nicht mehr gefragt«, lacht er.

Mit dem Wind alleine ist es allerdings noch längst nicht getan. »Der Ton geht erst ab einem bestimmten Druck«, führt der Winterhalter-Mann vor, indem er in eine kleine Pfeife bläst und piepsige »Vorläufertöne« produziert. Rundherum schwach auf der Brust klingen die. »Wenn ich aber zuviel Druck gebe, dann überbläst die Pfeife und der Ton wird schrill.« Will heißen: Der Balg muss den Winddruck auf genau die richtige Menge regulieren.

Design und Klang zu einem stimmigen Konzept zu vereinen, das auf den Ort abgestimmt ist, in dem die Orgel nicht nur aufgestellt ist, sondern den sie auch mit ihren ebenso grandiosen wie kulturtragenden Klängen optimal erfüllen soll – dieser Aufgabe stellt sich die ein rundes Dutzend starke Winterhalter-Mannschaft bei jedem Instrument aufs Neue.