»Am 6. Januar habe ich rein zufällig die Erzählung »Raunächte« im Radio auf SWR 2 gehört und war begeistert.« Auf diese Weise stimmte Stefanie Vollmer im Namen des veranstaltenden katholischen Bildungswerkes die Gäste auf das ein, was ihnen der Schweizer Autor Urs Faes im vollbesetzten Gasthaus »Vogt auf Mühlstein« bot.
Rund 70 Zuhörer aller Altersstufen hatten sich am Freitagabend zur Lesung des bekannten Autors aus dem Suhrkamp-Verlag eingefunden. »Vielleicht haben Sie das Knarren, Knarzen, Stöhnen gehört – des Sturms, des Regens«, wandte der Schweizer sich am Vorabend zu Dreikönig an seine Zuhörer, »Willkommen meine Damen und Herren in den Raunächten.«
Er selbst hat all diese Geräusche gehört, dazu der Ruf des Käuzchens. Vor drei Jahren war das, als ihn eine Freundin aus Offenburg in die Nähe des Mühlsteins geführt hatte. »Das sind die Raunächte«, wurde ihm, der den Begriff bis dato nicht kannte, damals beschieden. Seither hat sie ihn nicht mehr losgelassen: Jene Zeit zwischen dem ersten Weihnachts- und dem Dreikönigstag.
»Die Raunächte gehen zurück auf die germanische Zeit mit dem alten Mondjahr, das zwölf Tage als Schalttage brachte«, erklärte der 70-Jährige dem Publikum. Wobei diese Niemandszeit zwischen den Jahren früher als »eine Zeit der Unordnung galt, als eine Zeit des Chaos, eine Zeit der bösen Geister.«
»Eine Zeit zum Angstkriegen ist das«, wird er in seinem gelesenen Text eine Nebenfigur sagen lassen, »auch draußen in der Welt: nichts als Unheil, Krieg, Terror. Die bösen Geister sind überall, auch wenn man nicht an sie glaubt.«
Wer jedoch von der Existenz der »Dunkelbolde« überzeugt war, der versuchte sie mit allerlei Bräuchen zu vertreiben. Mit Ritualen, bei denen die Frauen eine wichtige Rolle spielten. Überhaupt seien die Raunächte eine Domäne der Frauen gewesen, so Urs Faes, der auf die für diese Übergangstage wichtige Sagengestalt der Frau Perchta respektive der – durchaus ambivalenten – Frau Holle verwies.
Doch nicht nur diese in früheren Jahrhunderten drohend-geheimnisvolle Zwischen-Zeit hatte den Schriftsteller, der für seine Bücher viele Auszeichnungen erhalten hat und 2017 auf der Shortlist für den Schweizer Buchpreis stand, unwiderruflich in ihren Bann gezogen. Auch die hiesige Landschaft faszinierte ihn. Derart, dass er hier seit drei Jahren auf ausgedehnten Wanderungen Land und Leute erkundet. Was ihn zudem auf die Geschichte »Vogt auf Mühlstein« stoßen ließ – jene unglückliche Liebesgeschichte, die sich um 1780 tatsächlich zugetragen und die der Heimatschriftsteller Heinrich Hansjakob (1837 – 1916) für die Nachwelt festgehalten hat.
Die Gegend drei Jahre lang erwandert
»In den letzten drei Jahren war ich hier viele Male unterwegs«, erzählte Urs Faes unserer Zeitung, »bei jeder Witterung, sowohl auf der Harmersbacher als auch auf der Nordracher Seite.« Auch bei Regen und Schnee war er hier, »nicht nur im Sommer, wenn es schön und warm war.« Mit dem Ziel, die unterschiedlichen Stimmungen der Landschaft und der Bäume wahrzunehmen – und auch der Gehöfte, die je nach Wetter und Lage einsam erscheinen oder nicht. »Denn man kann nur dann glaubwürdig schreiben, wenn man nicht nur einen einzigen Eindruck hat«, erklärt Urs Faes sein Vorgehen, »nur dann ist man in der Lage, einen dichten Text zu schreiben.«
Unter dem Titel »Raunächte« verwob er all dies zu einer im Harmersbachtal und in Nordrach angesiedelten15-seitigen Erzählung. Länger durfte sie nicht sein, da sie für eine SWR-Literatursendung bestimmt und die Vorlesezeit von der Redaktion her auf eine halbe Stunde begrenzt war.
Doch der Stoff sorgte derart für Furore, dass der Autor ihn über ein weiteres Jahr hinweg zu einem Roman mit dem Titel »Einer kehrt zurück« ausbaute. Auch hier wird der Stoff literarisch, weil auf verschiedenen Ebenen erzählt: Auf jeweils einer Ebene der Gegenwart, der Erinnerung, der Mystik – und all dies verwoben mit der Hansjakobschen Vogt-auf-Mühlstein-Geschichte um die unglückliche Liebe zwischen Lene und Hans.
Eine Vorpremiere
Dieser Roman – sehr atmosphärisch, spannend und sprachlich wunderschön – wird im kommenden Sommer im Suhrkamp-Verlag erscheinen, laut Aussage des Autors wahrscheinlich Anfang August.
»Sie erleben hier also eine Vorpremiere, wenn man so will«, meinte Urs Faes zu seinen Zuhörern im Höhen-Gasthaus »Vogt auf Mühlstein«. Mit ebenso charmantem wie bestens verständlichem Schweizer Zungenschlag las er zweimal je etwa eine Viertelstunde aus der berührenden, dramatischen Lebens- und Liebesgeschichte um zwei einstmals eng vertraute und schließlich bis aufs Blut zerstrittene Brüder.
Der Grund für den Bruderkrieg, der einen der Brüder – den Protagonisten des Romans – auswandern ließ: Das Hoferbe und die gemeinsame, unglückliche Liebe zu einer Frau. Nach vierzig Jahren nun kehrt der Auswanderer zurück in die Heimat. In der Hoffnung seinen Bruder wiederzusehen, sich mit ihm zu versöhnen. Wird das gelingen? Zwar las Urs Faes auch den Schluss. Da man diesen nach des Autors eigenem Bekunden normalerweise jedoch nicht preisgibt, sei er an dieser Stelle natürlich nicht verraten.
Schuld und Verzeihen
Stefanie Vollmer vom katholischen Bildungswerk, das die Veranstaltung organisiert hatte, resümierte zu »Einer kehrt zurück«: »Eine Geschichte von Schuld und Verzeihen«. Und an Urs Faes gewandt fuhr sie fort: »Dabei haben Sie es verstanden, unsere schöne Schwarzwaldlandschaft und die mystische Zeit der Raunächte so zu beschreiben, dass man meint, dabei gewesen zu sein.«
Ebenfalls viel Applaus erhielt Roland Jäckle aus Hausach, der die Lesung mit seinem Gitarrenspiel begleitete. Zum Dank erhielten beide Akteure von Stefanie Vollmer eine große Flasche Nordracher Moospfafflikör – beerig-fruchtig und umso passender, als Urs Faes auch den Moospfaff als ortsspezifische Sagengestalt subtil in sein Romangeschehen mit eingewoben hat.
»Der Roman ist einerseits eine Liebeserklärung von mir an die fantastische Landschaft hier«, so der Schriftsteller abschließend zu seinem Publikum, »er ist aber auch eine Liebeserklärung an die Badener, die ich in den letzten drei Jahren als unheimlich freundliches, zugängliches, liebenswürdiges Volk kennen-, schätzen und lieben gelernt habe.«