»Durch Terrorismus und Selbstmordattentate ist das Bild des Islam in den Medien verzerrt und angstbesetzt« – vor diesem Hintergrund lud das katholische Bildungswerk Nordrach am vergangenen Montag zu einem Vortrag ein. Zwecks Vermittlung von Basiswissen und Hintergründen.
Für Bernd Feininger (69), den Professor a.D. der pädagogischen Hochschule Freiburg, wo er am Institut für evangelische und katholische Theologie und Religionspädagogik lehrte, verläuft der Abend im Pfarrheim St. Marien anders als geplant: Nach dem ersten Teil seines Vortrags wird er von den 22 Zuhörern derart mit Fragen bombardiert, dass er von seinem ursprünglichen Konzept abweichen muss. Doch der Reihe nach:
Zunächst trägt der Religionswissenschaftler in modernem Hocharabisch einige frühe Suren vor, deren Übersetzung den Zuhörern vorliegt. Um an wenigen Beispielen zu zeigen, »wie die ursprüngliche Botschaft des Koran zu verstehen ist.« Jener Botschaft, die Gott nach dem Glauben der Muslime an ihren Propheten Mohammed gerichtet hat, der um 570 n.Chr. in Mekka geboren wurde und 632 n. Chr. in Medina starb.
Primär verkünden diese »Lehrworte, mit denen Mohammed in Mekka aufgetreten ist: Es gibt ein Leben nach dem Tod, und es gibt eine Belohnung und eine Strafe«, so Bernd Feininger. Wobei die Erde am jüngsten Tag wie bei einem Geburtsvorgang nicht nur alle gestorbenen Menschen wieder hervorbringt, sondern auch ihre Taten. Eine Tatenbilanz wird sozusagen erstellt: Dass die guten Taten – von denen auch die kleinsten nicht vergessen werden – am Ende überwiegen, dafür ist jeder Mensch selbst verantwortlich.
Die Vorstellung vom Endgericht gibt es auch im Christentum. Während Christus jedoch als Weltenrichter im Vordergrund stehe, erklärt der Theologe, stehe Gott im Koran diesbezüglich im Hintergrund. »Dass Mohammed das Jüngste Gericht und die Botschaft vom Jenseits so stark betont, ist ein wichtiger Aspekt im muslimisch-christlichen Dialog, finde ich«, meint Bernd Feininger. Denn dass man für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werde, sei auch für Christen eine schwierige Botschaft. »Die meisten reichen Araber – an die sich Mohammeds Botschaft richtete – hatten die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod damals abgelehnt und sich sogar darüber lustig gemacht«, erläutert der vielgereiste Religionswissenschaftler mit den Fachgebieten Islam und Judentum, »obwohl sie Kenntnis vom Christen- und Judentum hatten.«
Selbstherrlichkeit am Pranger
Auf eben diesen vornehmen Adligen im patriarchalischen Mekka habe der Prophet sein neues Menschenbild ausgerichtet: indem er das Wesen des Menschen gegenüber Gott als das eines Frevlers definierte. Denn in seiner Selbstherrlichkeit, die sich in seiner Liebe zu irdischen Gütern äußere, mache sich der Mensch zum Maß aller Dinge. »Das ist nicht so weit weg von Luther«, meint Bernd Feininger. »Hingebung an und Frieden mit Gott«, bedeute der Begriff »Islam« in der Übersetzung – sich in das richtige Verhältnis zu Gott zu setzen, als dessen Diener, Knecht, Sklave. »Der Mensch soll eigentlich eine formbare Masse in den Händen Gottes sein«, erläutert der Theologe die Botschaft Mohammeds: »All das, was ihn von Gott unabhängig macht, ist böse.
Deswegen sagen Muslime – gerne auch als Floskel –: »Inshallah««, was Bernd Feininger mit »was Gott will« übersetzt. Und was gleichzeitig eine Grundproblematik in der heutigen muslimischen Welt bedeute. »Vor allem seit dem 18. Jahrhundert ist unsere moderne Welt geprägt von einer Freiheitsgeschichte, die so viel individuelle Freiheit wie möglich fordert«, so der Professor, »das steht im Gegensatz zur Unterwerfung des Menschen zu einem Gott, der über den Tod hinaus alles vom Menschen weiß.«
Unterwerfung versus individuelle Freiheit
Damit umzugehen sei auch für christliche Kirchen nicht einfach gewesen, »es gab Zeiten, da hat der Papst die Demokratie als Teufelswerk verurteilt.« Besonders betont der Referent in diesem Zusammenhang die Sure 103, gemäß derer der Mensch, gemessen an Gott, ein Minusgeschöpf ist. Was im krassen Gegensatz zum heutigen Bild des Menschen als Held steht, der sich mit seiner Technik die Erde untertan macht. Die Überbetonung der Armseligkeit des Menschen gegenüber Gott sei ein schwieriges Thema auch in der islamischen Religionspädagogik und berge überdies ein gefährliches Potential: »Weil man die Hingabebereitschaft des gläubigen Menschen manipulieren kann, bis hin zu Selbstmordattentaten und Ausbildung von Kindersoldaten.«
Und doch besitze der Mensch im Islam eine Würde, »denn Gott hat ihm einen Intellekt gegeben«, betont der Wahl-Gengenbacher. Sobald er in einer Pause die Gelegenheit für Fragen gibt, wird er von diesen überhäuft. Wie der Koran entstanden ist, wie er sich ausgebreitet hat, sein Geschlechterverständnis, desgleichen Fragen zur Scharia, zum »heiligen Krieg« – die jeweiligen Antworten kann der Professor trotz eines weitgehenden Verzichts auf seine ursprünglich für den zweiten Teil vorgesehenen Darlegungen lediglich anreißen und verweist auf eigenständige Veranstaltungen zu den jeweiligen Themen.
Zwei Dinge hebt er abschließend hervor: Zum einen verurteilt er »die bisherigen ideellen, materiellen und geopolitischen Einmischungen, mit denen der Westen dem Osten seine Vorstellungen überzustülpen versucht hat.« Zum anderen warnt er vor der Einstellung, »alle Moslems sind Islamisten« und beendet die Veranstaltung mit dem Fazit: »Ich sehe momentan keine von den Muslimen ausgehende Gefahr für Deutschland, auch, was unsere Werte angeht.«