»Bei Angriff nie rückwärts gehen« – so lautete eine der Grundregeln des Kampfsport-Schnupperkurses, der sich im Biberacher
Ferienprogramm als Magnet erwies: 35 Jungen und Mädchen erhielten durch Karate-Trainerin Klaudia Isenmann einen Einblick in die Möglichkeiten der Selbstverteidigung.
»Ich bin immer erstaunt, wie viele Kinder sich beim Ferienprogramm bei mir anmelden, obwohl ich den Schulen ja auch Unterricht gebe«, freut sich Klaudia Isenmann als zweite Vorsitzende und Trainerin im Zeller Kampfsportverein »Karate Do«.
»Weg der leeren Hand« lautet die Übersetzung dieses japanischen Begriffs. Wobei der Zusatz »Do« sich auf die Bedeutung dieser Kampfkunst als Lebensweg bezieht und somit auf den philosophischen Hintergrund, der sich seit dem Anfang des letzten Jahrhunderts entwickelt hat.
Verschmolzen mit chinesischen Einflüssen ist Karate ursprünglich jedoch aus weit zurückliegenden Traditionen Okinawas entstanden. Auf dieser heute zu Japan gehörenden Insel galt in früheren Jahrhunderten ein teils strenges Waffenverbot, mit dem die Machthaber Unruhen und Widerstand zu unterbinden trachteten. Japanische Samurai allerdings hatten das Recht der Schwertprobe, aufgrund dessen sie die Schärfe der Klingen nicht nur an Leichen und Verwundeten ausprobierten, sondern auch an Bauern. Und zwar willkürlich. Ein vor solchen Übergriffen schützendes Polizeiwesen und Rechtssystem gab es nicht.
Selbstverteidigung war also notwendiger denn je – eine zwangsweise waffenlose, eine mit »der leeren Hand.« Nach dem zweiten Weltkrieg verbreitete sich Karate als offiziell anerkannte Kampfkunst und als Sport von Japan aus über die ganze Welt. Schlag-, Stoß-, Tritt- und Blocktechniken werden angewandt, Fortgeschrittene setzen zudem einige Hebel und Würfe ein.
Karate im Hier und Jetzt
Nach dem Aufwärmen geht es für Klaudia Isenmanns Schützlinge gleich mit einer ersten Karate-Übung los: dem geraden Fußtritt mit dem hinteren Bein. Dazu ruft die
Biberacherin Kommandos: Ichi! Ni! San! Shi! Go! »Das sind die japanischen Zahlen von eins bis fünf«, erklärt die Trainerin den Kindern, denn beim Karate spricht man japanisch.
Der mit hochgezogenem Knie und mit dem Fußballen ausgeführte Stoß sollte begleitet werden von einem lauten, einem sehr lauten »Ki-ai!« Das dient dem richtigen Atmen in Verbindung mit dem gleichzeitigen Anspannen des Körpers. Doch aus nur wenigen Kehlen kommt der Ton, und dies auch nur zaghaft. Also wird geübt, bis die Lautstärke des vielstimmigen Rufs die Wände der Turnhalle wackeln lässt. Das dauert nicht lange – Klaudia Isenmann ist zufrieden.
Und sie erklärt: »Ganz wichtig beim Karate ist die Faust.« Sie läuft die Reihe der Kinder ab und kontrolliert deren ausgestreckte Fäuste: Schließlich dürfen die Finger den Daumen keinesfalls umschließen, vielmehr außen anlegen muss man den Daumen, »sonst bricht man ihn sich.«
Mit einer solchen Faust und lautem Schrei demonstriert die Trainerin jeweils einen Angriff zum Bauch und zum Kopf ihrer Sparringpartnerin – der 21-jährigen Jana, ihrer Tochter. Wobei sich die beiden bei jeder Übung respektvoll voreinander verbeugen.
Dann zeigt Klaudia Isenmann, wie man einen eben solchen Angriff mit einem Arm abblockt und im nächsten Augenblick kontert, indem man dem Angreifer mit der freien Faust einen Schlag in den Magen versetzt. Mit keinesfalls abgeknicktem sondern geradem Handgelenk, um sich dieses nicht zu verletzen.
Auch diese Bewegungsabläufe lässt die Kampfsportlerin die Kinder üben. »Ganz wichtig, so etwas dürft ihr nicht aus Spaß machen«; mahnt sie jedoch mehrfach und nachdrücklich, »und üben dürft ihr das nur mit dem Papa.« Mit dem Hinweis darauf, dass dieser dabei tunlichst die Bauchmuskulatur anspannen sollte.
Üben ist das A und O
Nach einer Trinkpause ist die Selbstverteidigung an der Reihe. »Wenn ihr belästigt oder angegriffen werdet: Ihr braucht euch nichts gefallen zu lassen«, betont Klaudia Isenmann. Zur Verdeutlichung macht sie einen energischen Schritt nach vorn, mit abwehrend zu Schulter oder Kopf des Angreifers ausgestreckter Hand und lautem »Nein, Stop!«. »Das ist das Erste, was ihr in so einem Fall macht«, erklärt sie, »ihr könnt auch »Lass’ mich!« schreien«.
Auf jeden Fall laut und bestimmt muss das sein, keinesfalls zaghaft: »Ihr müsst zeigen, dass ihr keine Angst habt! Deshalb dürft ihr niemals rückwärts gehen – dann ist nämlich der andere der Starke. Sondern geht einen Schritt nach vorne. Damit erschreckt ihr ihn.«
Das wird sogleich geübt. Immer ein Junge und ein Mädchen sollen sich zusammentun, etwa gleich groß. Ein kleines, zierliches Mädchen aber will die Probe aufs Exempel machen und besteht darauf, mit einem Jungen zu üben, der größer ist als es selbst. Immer lauter und bestimmter werden die Nein- und Stop-Rufe der Kinder, zunehmend mutiger werden auch anfangs Zögerliche.
Training nach den Ferien
Was jedoch tun, wenn man am Handgelenk oder von
hinten gepackt wird? Hier kommt die Karatefaust zum Einsatz, die mit den Knöcheln – idealerweise dem Knöchel des Ringfingers – auf die
Angreiferhand schlägt. Auf einen neuralgischen Punkt. »Das tut so weh, das hält kein Mann aus«, lässt Klaudia Isenmann die Kinder es an jeweils sich selbst ausprobieren.
Auch weitere Abwehrbeispiele zeigt sie. Solche, mit denen man sich beispielsweise aus einem Griff um den Hals befreien kann. »Es gibt so viele Möglichkeiten«, betont sie deren Wichtigkeit auch für Jungen. »Das alles muss man aber üben, und das macht man bei uns im Karate-Training«, hofft die Vereinsfrau auf Zulauf am Ende der Ferien.